Tribü(h)ne für das Büro der Zukunft

Zwischen grünem Prater und Trabrennbahn Krieau erheben sich die ersten Stahlbetonbauten Europas. Die Zweckbauten stammen von den Otto-Wagner-Schülern Hoppe, Kammerer und Schönthal. Eine der drei Tribünen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts dient nach wie vor den Rennsportbegeisterten oder kann für Events gebucht werden. An den beiden anderen nagte bis vor ein paar Jahren – deutlich sichtbar – der Zahn der Zeit. Wer dieser Tage ins Stadtquartier „Viertel Zwei“ kommt, zu welchem auch die Neubauten rund um die Krieau gehören, dem eröffnet sich ein völlig anderes Bild. Der Wiener Architekt Martin Kohlbauer hat aufbauend auf der Einreichplanung des Duos Tillner & Willinger aus den Tribünen eine hypermoderne Bürowelt geschaffen. Integriert in einen lichtdurchfluteten Bürokomplex wurde Außenraum zu Innenraum. Gefragt nach dem Konzept, das seinem Büro der Zukunft zugrunde liegt, sagt Kohlbauer: „Die Idee war, eben ‚kein Büro‘ zu gestalten – sprich alles andere als ein Büro.“ Und so entstand in dreijähriger Arbeit das Headquarter des Immobilienentwicklers und -betreibers Value One und der Sitz von Red Bull Media House mit gemeinsamem Entree und unterschiedlichem Interieur.

Aus einer vorhandenen Struktur etwas Neues zu machen, war auch der Auftrag an das Architekturbüro „Gerner Gerner Plus.“ für die Büroräumlichkeiten der BWS-Gruppe. In den unteren drei Etagen eines mehrgeschossigen gemeinnützigen Wohnbaus in der Triester Straße 40 im 10. Wiener Gemeindebezirk sollte Gerner nachträglich drei Büroetagen integrieren. „Jede Wohnung hat in der Regel einen Versorgungsschacht, diese bestehende Struktur mussten wir in unserer Planung mitdenken“, erklärt Architekt Oliver Gerner im Interview mit Happy together. 

Heute Büros für Hightech-Firmen, einst Tribünen für die Trabrennbahn Krieau. © Rupert Steiner
Eine der Küchen im BWSG-Büro in der Triester Straße 40. Hinter den Sitznischen verbergen sich die Versorgungsstränge. © Matthias Raiger, Gerner Gerner Plus.

Haustechnik, Statik und Stützen versteckte das Architektenteam um Vater Andreas und Sohn Oliver Gerner sowie Matthias Raiger hinter Designelementen aus mattem Weiß und gebürsteter Eiche. Die Versorgungsschächte befinden sich hinter tiefen Türstöcken oder Sitznischen, die zum Verweilen einladen, oder hinter spitz auslaufenden Raumteilern, die die Gangflächen definieren und die architektonische Gestaltung des Gebäudes in der Innenausstattung aufnehmen. Begrünte Wände schaffen ein angenehmes Raumklima. Die Teppichfliesen lieferte die Firma Interface. Sie sind aus recycelten Fischernetzen und können einzeln ersetzt werden.

Als „Transformation“ bezeichnet Architekt Kohlbauer den Raumplan, der aus den Tribünen des „Wien um 1900“ in der Krieau Arbeitsplätze werden ließ.

4.800 Quadratmeter hat die Nutzfläche der Büros von BWSG und Gewerkschaft vida. „Wir arbeiten immer als Team, unsere Projekte entstehen im Diskurs“, erzählt Gerner und bezeichnet das Architekturbüro als unkonventionellen Familienbetrieb. Die 35 Mitarbeiter – inklusive Ehefrauen und Kusine – kommen aus 13 verschiedenen Nationen. „Wir sind unterschiedlich architektonisch sozialisiert und das ist das große Spannungsfeld in unserer Bürokultur. Das macht unsere Architektur aus.“

Im Einklang mit den Bürobewohnern

Als „Transformation“ bezeichnet Architekt Kohlbauer den Raumplan, der aus den Tribünen des „Wien um 1900“ in der Krieau Arbeitsplätze werden ließ. Ein wogendes buntes Glasdach, gebildet aus Dreiecken, verbindet die Bestandsflächen mit den beiden Neubauten. „Das Glasdach sei eine Reminiszenz an einen herabsinkenden Ballon, wie sie in Vergnügungsparks wie dem Wiener Prater in der Vergangenheit starteten und landeten, erzählt Kohlbauer. Mit dem wil-den Holzlamellenkleid, das die Fassade der Neubauten bestimmt, und den vorgelagerten Wasserflächen leitet Kohlbauer den Besucher mit einer naturnahen Geste zum grünen Prater über.

Mit einer naturnahen Holzpfosten-Riegelfassade weist der Wiener Architekt Martin Kohlbauer den Betrachter in Richtung grünen Prater. © Rupert Steiner
Bürokomplex „Am grünen Prater 2 und 3“: Ein wogendes Glasdach verbindet Alt und Neu. © Rupert Steiner

Der Gustav-Peichl-Schüler und spätere Lehrbeauftragte an der Akademie der bildenden Künste hat den Anspruch, zeitlose Architektur für eine neue Form des Arbeitens zu schaffen. Und was bedeutet das? Kohlbauers Antwort auf diese Frage: „Nix is fix oder neumodisch ‚Activity Based Working‘. Arbeiten besteht aus einem Konglomerat von unterschiedlichsten Bereichen – aus Projektinseln, frei wählbaren Arbeitsplätzen, unterschiedlichen Atmosphären – die ein Gebäude den Mitarbeitern, ja, den Bewohnern anbietet.“ Durch die Pandemie haben sich die Ansprüche an Bürogebäude verändert. Sharing-Konzepte und flexible Grundrisse sind damit mehr denn je gefragt. Oft steht viel zu viel Platz für wenige anwesende Mitarbeiter zur Verfügung.

 Oliver Gerner dazu: „Das Büro konkurriert heute mit dem Homeoffice. Da ist es doch besonders wichtig, einen Ort des Wohlfühlens zu schaffen.“ Wohnen und arbeiten vermischen sich aus seiner Sicht heute zu sehr. „Da geht etwas verloren“, meint er. „Architektur muss daher viel Platz für Zwischenmenschlichkeit bereitstellen – davon profitieren nicht nur die Mitarbeiter:innen, sondern auch die Arbeit.“ Gegen den Trend zum Homeoffice könne er als Architekt wenig machen, „weil ein attraktiveres Büro als jenes ‚Am grünen Prater‘ kann man sich gar nicht wünschen“, so Kohlbauer. „Ich brauche die Atelieratmosphäre und war auch in der Pandemie in den Werkräumen in der Prater Straße.“ 

Martin Kohlbauer lebt Architektur. Der Meister im Loft des Viertel Zwei. © Architekt Martin Kohlbauer

Dem Digitalisierungsschub, den die Pandemie mit sich brachte, kann aber auch er einiges abgewinnen. „Das ortsunabhängige und intensivere Kommunizieren brachte einige Vorteile mit sich.“ So habe er sich mit dem Amsterdamer Stardesigner Marcel Wanders, der für das freundlich verspielte Interieur verantwortlich zeichnet, intensiv online abgestimmt und damit Zeit und Ressourcen gespart. Kohlbauer: „Aber im täglichen Leben braucht man das Umfeld, die Kommunikation mit den anderen.“ Die Zusammenarbeit mit Wanders bezeichnet er als eine „sehr heitere, lustvolle. Überall findet man Versatzstücke, die an den Vergnügungspark und die Rennbahn erinnern“.

Durch die Pandemie haben sich die Ansprüche an Bürogebäude verändert. Sharing-Konzepte und flexible Grundrisse sind damit mehr denn je gefragt.

 

Ein großes schwarzes Einhorn steht im Foyer als Selfie-Station zur Verfügung. Lampen hängen wie Affenschaukeln von den Decken – künstliches und natürliches Licht erzeugen ein harmonisches Ganzes. Bequeme Ohrenfauteuils in leuchtenden Farben wechseln mit ergonomischen Büromöbeln in reduziertem Schwarz und Grau. Sitzgruppen auf runden Teppichen mit exotischer Flora und Fauna werden von Pavillons aus Metall-Streben eingerahmt. Kohlbauers Aufgabe sei gewesen, die Kreativität des Designgurus „ein wenig einzubremsen. Ich glaube, das ist auch sehr gut gelungen“, sagt er schmunzelnd.

Heute an morgen denken

Für Oliver Gerner geht es „heute noch mehr um Flexibilität, darum, Kommunikation zuzulassen, aber auch Rückzugsorte zu schaffen“. Vieles habe sich in die digitale Welt verschoben. Insofern sei es noch wichtiger, schöne Arbeitsräume zu schaffen, damit die Leute gerne ins Büro kommen.

„Die Herausforderung besteht also darin, den Mitarbeiter:innen zusätzlich zu ihrem Zuhause einen Mehrwert zur eigenen Wohnung zu bieten“, so Gerner.

Das Kraftwerk Krieau deckt 85 Prozent des Kälte- und Wärmebedarfs des Stadtentwicklungsgebiets Viertel Zwei mit regenerativen Ressourcen vor Ort.

Um dem Anspruch nach Flexibilität gerecht zu werden, hat sein Team in den Büroräumlichkeiten der BWSG bereits beim Planungsbeginn im August 2013 vorgesorgt. Abgesehen von den tragenden Raumteilern, die die Versorgungskanäle enthalten, trennen eingespannte Elemente aus Glas, Eichentüren und weißen Platten die Büroräume, die relativ leicht an neue Bedarfe angepasst werden können.

Bei Value One gliedern zwei- bis fünflagige Filzvorhänge Arbeitsplätze, Kommunikationsinseln oder Bibliothek. Die Vorhänge wirken sich positiv auf die Akustik aus. „Der Raum kann temporär geöffnet werden. Schiebewände hätten hingegen immer ein höheres Volumen“, argumentiert Kohlbauer. Es sei eine gute und praktikable Methode, damit der Raum offen bleibt.

Marcel Wanders sprüht vor kreativen Ideen. Das Interieur im Headquarter der Value One zeugt von der Schaffenskraft des Amsterdamer Designers. © Rupert Steiner

Akustik sei auch im Bestandsgebäude Thema gewesen, erzählt der Wiener Architekt. „Es ging zum Beispiel auch darum, Heizung und Kühlung in die sehr schönen Stahlbetondecken zu integrieren, ohne den strukturellen Eindruck zu mindern.“ Dafür sei eine intensive Zusammenarbeit mit dem Denkmalamt nötig gewesen. Die Auseinandersetzung mit dem Bundesdenkmalamt, mit dem Ziel, das Denkmal lebendig zu erhalten, bezeichnet er als sehr erfreulich.

Erneuerbare Energie für die Krieau

Was wäre ein Büro der Zukunft ohne Überlegungen in Sachen Energieeffizienz? Das Stadtentwicklungsgebiet Viertel Zwei mit seinen verschiedenen Nutzungsformen wie Büros, Wohnungen oder Studentenheim versorgt das Kraftwerk Krieau mit dem Betreiber beyond carbon energy, der Teil der Value-One-Unternehmensgruppe ist. Das Herzstück der Anlage befindet sich in bis zu 180 Metern Tiefe – der sogenannte saisonale Speicher. Im Erdreich vergrabene Sonden nutzen die vorhandene Wärme in der kalten Jahreszeit zum Heizen und befördern im Sommer Abwärme, die zum Beispiel durch Kühlung entsteht, wieder zurück in die Tiefe. Das Kraftwerk deckt 85 Prozent des Kälte- und Wärmebedarfs mit regenerativen Ressourcen vor Ort. 15 Prozent Ökostrom werden zugekauft, 30 Prozent der Energie von öffentlichen Energieerzeugern bezogen. Die Energieversorgung selbst erfolgt über Wärmepumpen, die, wenn möglich, durch die eigenen PV-Anlagen betrieben und durch mehrere großvolumige Wärme- bzw. Kältespeicher unterstützt werden.

Und welche Vorbilder haben die beiden Architekten, die wir für Happy together interviewt haben? Oliver Gerner sagt, er verehre den spanischen Maler und Bildhauer César Manrique, der „auf der Insel Lanzarote wahnsinnig schöne Raumerlebnisse“ inszeniert habe. Am meisten lerne er aber von seinen beiden Kindern. Im Jänner folgt Nummer drei, die Gerner-Gerner-Familie wächst also.

Ich glaube, die politisch Verantwortlichen unterschätzen die Dimension.

„Die Meisterschule Gustav Peichls an der Akademie der bildenden Künste war während meiner Studienzeit wohl eine der renommiertesten und besten Meisterschulen für Architektur“, so Kohlbauer. „Von der grundsätzlichen Haltung, die wir entwickeln konnten, profitiere ich heute noch.“ Es gebe aber viele inspirierende Architekten. Kohlbauers Credo: „Architektur ist vielschichtig in jeder Hinsicht – da gibt es zu jeder Zeit Anknüpfungspunkte. Man lernt von den positiven, aber auch von den negativen Beispielen.“

Gerner Gerner Plus. ist ein unkonventioneller Familienbetrieb. „Wir arbeiten immer als Team“, so Oliver Gerner. (V.l.n.r: Urška Vratarič, Andreas Gerner, Julia Haranza, Matthias Bresseleers, Oliver Gerner, Gerda Maria Gerner.) © Matthias Raiger
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