1995: Österreich tritt der EU bei, über der Supermarktkette Konsum kreist der Pleitegeier und die Briefbombenserie erreichte ihren Höhepunkt. Und im 2. Wiener Gemeindebezirk, in der Vorgartenstraße? Dort beginnt mit dem Einzug einer Jungfamilie auf Stiege 2 die Ära von Thomas Landegger. Nachdem er 17 Jahre lang als Aufzugswart beschäftigt war, tritt er seine Stelle als Hausbesorger bei der BWSG an. Noch ist er mit Gattin Erika samt Tochter für das kommende halbe Jahr die einzige Familie, die sich in der Wohnhausanlage niederlässt. Man mag es nicht glauben, aber auch vor der offiziellen Wohnungsübergabe an alle anderen Mieterinnen und Mieter war bereits einiges los. Besetzer und Obdachlose musste er davon abhalten, die Wohnungen zu okkupieren, erzählt er als Anekdote über die Anfänge seines Einzugs.
Von der Essenz des Backoffice
2024: Thomas Landegger sitzt am Morgen an seinem Esstisch in der Küche, Gattin Erika ihm gegenüber. Der Tisch ist reichlich gedeckt, die beiden sind „Frühstücker“, wie sie erzählen. Seit beinahe 30 Jahren ist der Mann für alle (Wohnanlagen-)Fälle nun schon hier zu Hause. Ihm unterstützend zur Seite: Gattin Erika. Die Ehepartner bezeichnen unisono den weiblichen Part als „Backoffice“: „Ohne Erika könnte ich gewisse Sachen nicht machen“, sagt Thomas Landegger. Gemeint ist damit nicht nur die Organisation von Ausflügen und Hoffesten, welche jahrelang – bis Corona kam – von dem Paar organisiert wurden.


„Erika unterstützt mich bei Dingen, wo ich nicht so gut drin bin “, schmunzelt Landegger. Seine Gattin lacht: „Ja, zum Beispiel der Waschraum, das mache komplett ich.“ Landegger pflichtet ihr bei: „Wie man die Waschmaschinen bedient, weiß ich bis heute nicht. Also, den Waschraum organisiert komplett meine Frau.“
Sie ist auch die toughe Person, wenn es um Hinterlassenschaften aller Art geht: „Man glaubt nicht, was manche Leute alles machen“, wird auf ein prekäres Thema eingegangen. So viel sei erwähnt: Nein, es sind nicht immer ausschließlich Hunde, die ihre Notdurft auf öffentlichen Flächen und in Stiegenhäusern hinterlassen.
Gemeinschaft & Gansln
Weiter zu etwas Erfreulicherem: Die Stiege 2 war sehr viele Jahre eine große Gemeinschaft. Es wurde gemeinsam gefeiert, Ausflüge wurden gemacht, man hat sich gegenseitig besucht, Karten gespielt, untereinander geholfen, gekocht und gegessen. Besonders schön seien immer die Weihnachtsfeiern gewesen, welche die Landeggers für alleinstehende Bewohnerinnen und Bewohner veranstaltet haben: „5 Gansln haben wir gehabt und in jedem Backrohr einer Wohnung war eins“, erzählt Landegger. „Enten waren das, Mausi“, sagt Erika Landegger. „Enten. Was auch immer.“ Beide lachen.
Erfüllung beim Rundendrehen
Dann wird der erfahrene Hausbesorger ernst: „In vier Jahren könnte ich in Pension gehen. Wie das sein wird, weiß ich nicht. Ich, nein, wir leben das ja. Es gibt keine Trennung zwischen Arbeit und Privatleben, der Tag ist erfüllt, es gibt immer etwas zu tun. Ich genieße es, mit der Kehrmaschine in der Früh meine Runden zu drehen. Alles eigentlich.“ Nicht einmal Urlaub brauchen die Landeggers. Doch, früher habe man schon Urlaub gemacht, war in einigen Urlaubsländern Europas unterwegs, doch heute sei das nicht mehr interessant, meinen sie. Wenn das Ehepaar wegfährt, dann höchstens ein paar Tage nach Hinterstoder in Oberösterreich. Thomas Landegger ist aber zufrieden, wenn’s wieder zurück nach Hause geht, in den 2. Bezirk. „Ich werde ja schon unrund, wenn ich den Bezirk verlassen muss“, sagt er mit einem Augenzwinkern.
Eine tägliche Stunde Observa- tion muss es schon sein, bevor Landegger seinen Rundgang in der gesamten Anlage antritt.
Kosmetik, Kaffee & Fenster schau’n
Wie sieht nun eigentlich ein Arbeits- oder sagen wir Lebenstag von Thomas Landegger aus? „Tagwache ist um 3.30 Uhr. Ich bin ein notorischer Frühaufsteher“, erzählt er. Dann heißt es „Kosmetik, Kaffee und Fenster schau’n“: Letzteres ist für Landegger von enormer Wichtigkeit: „Da sagen dann die Leut, der tuat nix und steht nur beim Fenster. Dabei beobachte ich. Ich sehe alles – ob die Leute in die Einfahrt pinkeln, etwas wegwerfen oder herumlungern“, schildert der „Hausmasta“. Eine tägliche Stunde Observation muss es schon sein, bevor Landegger seinen Rundgang in der gesamten Anlage antritt. Zunächst in den Laubengängen, dann im Innenhof und freilich noch außen um die Anlage herum. Sei- nen wachsamen Blicken entgeht nichts. „Da steigt mein Blutdruck dann schon wieder ins Unermessliche“, sagt er.


Professionell ärgern will eben gelernt sein. Umsonst seien seine Rundgänge nie, es gebe immer etwas zu entdecken, zu reparieren, wegzuräumen oder etwas, worüber er sich aufregen müsse. Nachdem das Außen inspiziert wurde, geht es ins Innere der Anlage. „Ich gehe jede einzelne Stufe auf und ab“, sagt er. Das sei auch gut für beziehungsweise gegen seinen hohen Blutdruck und überdies auch, um ein bisschen Umfang zu verlieren. Sechs Kilo sind schon unten und es sollen noch mehr werden. Gejausnet wird halt gerne im Hause Landegger. Gesundheitlich ist er derzeit in ambulanter Reha-Behandlung. Krankenstand könnte er gehen, will er aber nicht. Denn wer schaut dann auf die Wohnhausanlage und passt auf alle und alles auf? Wer kümmert sich, wenn mitten in der Nacht ein Wasserschaden auftritt, und wer würde die Anlage pflegen, Rasen mähen, kaputte Sachen reparieren etc.? Nicht auszudenken.
Eine kühne Prognose
Happy together wagt eine kühne Prognose: Tho- mas Landegger und Gattin werden wohl auch über die Pension hinaus für die Leute in der Vorgartenstraße da sein. Weil Herz und Hirn es gar nicht anders können.
