Neues zu verarbeiten, kostet Energie: Deswegen warnt uns unser Gehirn vor Veränderungen mit einem unguten Gefühl. Um dieses zu überwinden, hilft nur Ausprobieren.
Jeder von uns hat sich neue Ziele gesteckt oder wollte Veränderung wie z. B. Gewicht zu verlieren, das Rauchen aufzugeben, mehr Zeit für die Familie zu nehmen, weniger Kunststoffmüll zu produzieren oder sich aus einer unbefriedigenden Beziehung zu lösen. Diese Ziele zu erreichen, heißt letztendlich Veränderungen anzunehmen und diese zu leben. Wie wir wissen, ist dies mit zahlreichen Hindernissen und Überwindungen verbunden.
Doch warum sind Veränderungen manchmal so schwer zu bewältigen? Warum erfordert es so eine Überwindung? Warum gibt es Rückfälle? Wie kann man lernen, Veränderungen anzunehmen und zu akzeptieren?
Veränderung bedeutet Destabilisation
Veränderung ist das Gegenteil von „Gewohnheit“. Umstände oder Verhaltensweisen, an die wir gewöhnt sind, geben uns das Gefühl von Sicherheit und Stabilität. Jede Veränderung interpretiert unser Gehirn als negativ, weil wir die Gewohnheit verlassen müssen und damit Sicherheit verlieren. Wenn man etwas verändern möchte, dann fallen einem viele mögliche rationale Gründe ein, warum Veränderung keine gute Idee ist. Doch die Gründe, die wir uns einreden, sind in der Regel nicht real – diese sind eine Reaktion unseres Körpers, der versucht, ein stabiles System zu erhalten.
Angst vor dem Unbekannten und Neuen
Jede Veränderung – beispielsweise, wenn man sich von einem Partner trennen möchte – verursacht Ängste. Es kommen Gedanken auf wie z. B.: Wie geht es mir, wenn ich allein lebe, finde ich eine passende Wohnung, schaffe ich das finanziell etc.? In dieser Phase hat man sich mit dem Thema noch gar nicht richtig oder nur oberflächlich beschäftigt. Und diese Neophobie (Angst vor dem Neuen) sorgt dann dafür, dass die meisten Menschen mit der Veränderung gar nicht erst beginnen, auch wenn sie wissen, wie z. B. in Fall einer Trennung, dass diese einem persönlich guttun würde.
Wir werden alle, ob wir es wollen oder nicht, von unserem Umfeld beeinflusst. Enge Beziehungen wie zur Familie, zu Freunden oder zum Partner haben Einfluss auf unseren Veränderungsprozess.
Das soziale Umfeld
Wir werden alle, ob wir es wollen oder nicht, von unserem Umfeld beeinflusst. Enge Beziehungen wie zur Familie, zu Freunden oder zum Partner haben Einfluss auf unseren Veränderungsprozess. In der Praxis ist diese Hürde am schwersten zu bewältigen. Nehmen wir das Beispiel Fleischverzicht. Ist man in einem Umfeld, wo Fleisch in Form von Wurst und Steaks zum Essensalltag gehört, begibt man sich im Fall von Fleischverzicht in eine Situation der Ausgrenzung. Der Körper signalisiert das als Gefahr. Zusätzlich werden einen die Personen im Umfeld von der Veränderung abhalten wollen und Argumente liefern, dass es gesünder ist, Fleisch zu essen etc. Oder das Umfeld macht sich über einen lustig, sodass man ständig der Versuchung ausgesetzt ist, doch Fleisch essen zu wollen. Die Menschen im Umfeld machen das nicht aus Bosheit, sondern sie bewundern die Ambition des anderen, aber jeder versucht instinktiv, sein stabiles System nicht verlassen zu müssen, oder es steckt Angst dahinter, schlechter dazustehen.
Die fehlende Weitsicht
Jeder hat eine Ahnung davon, dass bestimmte Verhaltensweisen einem selbst oder der Umwelt „nicht guttun“, die genauen Folgen sind einem langfristig gar nicht bewusst. Viele ältere Menschen, die ihr Leben lang keinen Sport gemacht haben, bekommen es oft im Alter schmerzhaft zu spüren, dass der Körper schneller verfällt und sich der jahrzehntelange Bewegungsmangel bemerkbar macht.
Die fehlende Weitsicht, die Bilder und Emotionen bezüglich der Folgen unseres Verhaltens sorgen dafür, dass wir nur eine geringe Motivation für Veränderung aufbringen können.
Aufgrund der fehlenden Weitsicht lassen sich in unserer Gesellschaft Veränderungsprozesse schwer umsetzen. Denken wir z. B. an die Forstwirtschaft: Die Förster pflanzen Fichten, die erst in 80 bis 120 Jahren verarbeitet werden können. Der Förster, der diese Fichten pflanzt, wird diese nicht zur Verarbeitung nutzen können. Über die Spanne des eigenen Lebens hinauszudenken, bereitet vielen Menschen Schwierigkeiten. Dies ist auch der Grund, warum wir alle mit begrenzten Ressourcen so verschwenderisch umgehen und sich die Veränderung der Gesellschaft als Ganzes hin zu mehr nachhaltigem Handeln als schwierig erweist. Und: Wir alle sind einander widersprechenden Meinungen ausgesetzt und drohen darob die Orientierung zu verlieren.
Unruhige Zeiten
In unruhigen Zeiten, die wir gerade erleben, kann man schnell mal die Orientierung verlieren. Wir spüren alle, dass die Richtung einfach nicht mehr stimmt. Wir versuchen, an unseren alten Zielen festzuhalten, aber wir erkennen und spüren jetzt, dass wir uns „verlaufen“ haben. Orientierungsverlust bedeutet, das Bekannte und Gewohnte zu verlieren. Unsere Zukunftsbilder passen nun nicht mehr und nachzudenken allein reicht nicht mehr aus – wir wissen, dass etwas getan werden muss, um die Richtung zu ändern, damit wir uns alle wieder orientieren können.
Perspektiven mit Weitblick
Unsere Perspektiven verändern sich und dadurch auch unsere Ziele, die nicht mehr einfach greifbar sind. Gerade Zukunftsziele und Zukunftsbilder sind stark von den Standpunkten abhängig, von denen aus wir sie betrachten. Oftmals ist es doch so: Wenn das, was gestern noch undenkbar war, im Heute auf einmal völlig selbstverständlich wird, dann wird Angst schnell zum Ratgeber. Wir bevorzugen Optionen, die wir kennen, bedienen uns vereinfachter Denkmodelle und versuchen, die Dinge ins gewohnte Licht zu rücken. Hans Rosling (er war Professor für Internationale Gesundheit am Karolinska Institutet in Schweden) nannte dieses Phänomen den „Instinkt der einzigen Perspektive“. Gerade Unsicherheit und Angst im Umgang mit der Zukunft bedeutet oft nichts anderes als eine möglichst schnelle Wiederherstellung einer verloren gegangenen Ordnung. Unsere Ängste bringen uns dem Idealzustand aber nicht näher, daher wäre es sinnvoll, eine übergeordnete Sichtweise (z. B. Vogelperspektive) einzunehmen. Eine, die uns hilft, im unbekannten Terrain wieder etwas erkennen zu können. Durch Weitblick schaffen wir neue Sichtweisen auf etwas, was wir aus unseren alten Perspektiven völlig anders wahrgenommen haben. Wenn wir verstehen, dass unsere Zukunftsbilder meist nur durch unsere selbst geschaffenen Verhältnismäßigkeiten eingeschränkt werden, lassen sich dadurch auch neue Denkhorizonte ergründen.
Egal, ob es unsere eigenen oder gemeinsame neue Betrachtungsweisen sind, letztendlich bleibt es immer eine Frage der Empfindung. Wenn wir nämlich nicht gewillt sind, auch einmal nach links oder rechts zu schauen, können wir das Neue gar nicht wahrnehmen.
Wenn wir uns nun in einer komplexen, unsicheren und schnelllebigen Welt orientieren und zurechtfinden wollen, braucht es neue Zukunftsbilder, die unserer menschlichen Wahrnehmung wieder zu Sicherheit verhelfen. Leider haben wir Menschen große Probleme damit, uns in neuen und unbekannten Situationen auch rational zu verhalten. Zum einen liegt das daran, dass sich unsere „innere“ Orientierung auch stark an unseren Werten, Einstellungen und Haltungen anlehnt und wir viel lieber bedürfnis- als verstandsorientiert handeln. Zum anderen liegt es an einer Art der „äußeren“ Orientierung, über die wir versuchen, unser Wissen und unsere persönliche Erfahrung plausibel zu machen. Wir treffen unsere Zukunftsentscheidungen immer aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen, dadurch werden subjektive Denk- und Sichtweisen ausgebremst oder einfach nicht wahrgenommen.
Solange sich das Neue nicht in Bildern in unseren Köpfen abbilden lässt, ist es einfacher, so weiterzumachen wie bisher.
Neues Denken – neue Ziele
Welche Zukunftsziele hatten wir in der Vergangenheit? Wenn wir uns auf eine Zeitreise begeben, dann waren die letzten 250 Jahre unseres Schaffens dadurch geprägt, unsere Umwelt auszubeuten. Wir haben den Bezug zu unserer natürlichen Welt schon längst verloren und jetzt fragen wir uns, wie wir mit den Folgen für Natur und Klima umgehen wollen bzw. sollen. Solange sich das Neue nicht in Bildern in unseren Köpfen abbilden lässt, ist es einfacher, so weiterzumachen wie bisher. Neue Bilder könnten dadurch entstehen, dass wir keine Angst vor Veränderung haben und nicht die Fehler bei anderen suchen, sondern versuchen, uns selbst zu verändern und an unseren Eigenschaften zu arbeiten. Dadurch könnte es uns gelingen, wirtschaftliche Ressourcen in kulturelle Ressourcen umzuwandeln, und es wäre möglich, das Wissen über den Zustand unserer Welt in den Mittelpunkt zu rücken und „intelligente Entscheidungen“ zu treffen. Eine neue Wissenskultur mit Weitblick würde uns helfen, unser Wertesystem zu verändern – nämlich das eigene wie auch das kollektive. Menschen verändern sich nicht – sondern nur die Werte und die daraus resultierenden Haltungen. Es braucht neue Haltungen, damit wir über neue Ziele nachdenken können.
Unkalkulierbare Zukunft
Die Zukunft ist eine der mächtigsten Kräfte der Menschheit. Diese Fähigkeit, nämlich dass wir uns geistig die Zukunft vorstellen können, hat uns zu den Menschen gemacht, die wir heute sind. Sie hat dazu geführt, dass sich Kulturen und Zivilisation überhaupt entwickeln konnten und Wohlstand sich entfalten konnte. Wir wissen aber, dass die Welt doch keine Endlosschleife ist, sondern dass die Zukunft eine „unkalkulierbare Konstante“ wird. Das verursacht Angst, aber es könnte doch auch eine Chance für uns sein. Wir wissen, dass die Phase der Zukunftsphrasen ihr Ablaufdatum erreicht hat und Zukunft unberechenbar und unsicher ist. Ein neuer Plan könnte Orientierung schaffen, nämlich für die Gesellschaft und für uns selbst. Wir brauchen einen Plan mit Weitblick, der uns motiviert, das Richtige voranzutreiben. Ein Plan mit Weitblick – versuchen wir gemeinsam neu zu denken.
Wie schaffen wir es, neu zu denken?
Schmerzhafte Bilder
Eine gute Methode, das eigene Handeln zu verändern, ist, dass man sich die schmerzhaften Folgen bewusst macht, würde man eine Veränderung nicht vollziehen. Emotionale Reaktionen auf Bilder wie z. B. Kinder, die im Plastikmüll schwimmen, das Leiden von Tieren in Massentierhaltungen oder schockierende Bilder auf Zigarettenpackungen lösen eine Schockemotion aus und können zu einem neuen Handeln animieren. Wir haben immer den Impuls, die Veränderung verdrängen zu wollen. Ein negatives Zukunftsbild erzeugt „idealerweise“ so viel Schmerz, dass man dadurch einen Anschub bekommt, Veränderungen zu vollziehen und neu zu denken.
Gehe kleine Schritte
Veränderung erscheint zu groß zu sein, sodass man erst gar nicht damit anfängt oder man diese aufschiebt. Das Wichtigste ist, dass man damit beginnt. Am Beispiel Bewegung wäre es eine gute Idee, dass man pro Tag zehn Minuten zu Fuß geht. Und wenn man den ersten Schritt gegangen ist, dann könnte der nächste Schritt sein, dass man pro Tag 15 Minuten geht. Mit dieser Methode nimmt man sich die Angst vor dem Unbekannten und entwickelt eine neue Gewohnheit.
Ändere dein Umfeld
Oft hindert einen das Umfeld (Partner, Familie, Freund) daran, Veränderungen zu vollziehen. Hier gilt es zu entscheiden: Wie wichtig ist einem die Veränderung? Wie sehr beeinflusst einen das eigene Umfeld? Wird man vom Umfeld unterstützt? Tiefgreifende Veränderung des Umfelds ist nie einfach. In der Regel akzeptieren Menschen die Veränderung eher, wenn man bereits am Weg ist. Es ist leichter, keine Ankündigungen zu machen oder gar um Erlaubnis zu bitten – einfach mit dem neuen Verhalten beginnen und beobachten, wie das Umfeld darauf reagiert.
Suche dir ein Vorbild
Suche dir Personen in deinem Umfeld, die dir behilflich sein können, um eine neue Gewohnheit zu lernen. Ein Lerneffekt stellt sich schneller ein, wenn man sich eine Person sucht, die jene Veränderung schon vollzogen hat, die man sich selbst wünscht. Man muss nicht alles allein schaffen, sondern kann Hilfestelllungen von anderen annehmen.
Der richtige Moment
Man kann eine Veränderung im Leben nur erfolgreich vollziehen, wenn man erkennt, wann der richtige Moment gekommen ist, um tatsächlich das Verhalten zu ändern. Wir haben alle schon Vorsätze gehabt und diese gebrochen. Die Veränderung geschieht nicht, wenn man sich Vorsätze macht und über sein eigenes Handeln (Rückschläge) nachdenkt, sondern Veränderung geschieht nur, wenn man „handelt“. Im Leben gibt es immer einen bestimmten Moment, in dem man mit sich hadert, eine Sache zu tun oder zu lassen. Das ist der richtige Moment, um das Verhalten zu ändern und sich darauf zu konzentrieren, das Richtige zu tun.