Menschen und Wildtiere haben einiges gemeinsam. Die Ausbreitung der Städte beraubt beide ihrer Ressourcen, ihres Schutzes und der ökologischen Stabilität, die die freie Natur bietet. Die sogenannte „Renaturierung“ der Städte könnte diesen Prozess umkehren.
Gemeinsam mit der Landschaftsarchitektin Balin Koyunoglu erforschen wir die Vorteile der Ansiedlung von Wildtieren im städtischen Raum und welche Möglichkeiten zu deren Umsetzung es gibt. Städte dehnen sich aus und dringen in natürliche Lebensräume ein, was die biologische Vielfalt bedroht. Das empfindliche Gleichgewicht der Ökosysteme wird gestört und die Nahrungskette kann unterbrochen werden – mit Folgen, die bis zu uns reichen. Renaturierung kann dieses Desaster rückgängig machen.

Der Begriff bedeutet weit mehr als die Wiederansiedlung von Arten wie Wölfen und Bibern in der Wildnis. Wildtiere sind auch in Städten anzutreffen – von winzigen Bestäubern wie Bienen bis hin zu beeindruckenden Baumriesen. Die Europäische Kommission geht davon aus, dass bis zu 15 Prozent des städtischen Raums für blaue (Wasser) und grüne (Vegetation) Infrastrukturen genutzt werden könnten, die geeignet sind, Lebensräume für Wildtiere zu schaffen und zu verbinden.
Wie funktioniert Renaturierung?
Die Wiederbegrünung von Städten verfolgt zwei Ziele: die Schaffung von Lebensräumen und die Wiederansiedlung von Wildtieren. Die Natur kann nur dann Fuß fassen, wenn die erforderlichen Bedingungen für ihr Gedeihen gegeben sind.
Ich glaube, die politisch Verantwortlichen unterschätzen die Dimension.
Tiere benötigen sichere Räume, in denen sie leben, sich bewegen, ernähren und vermehren können. Dies erklärt die Landschaftsarchitektin Balin Koyunoglu. Daher müssen ihre Entwürfe folgende Punkte sicherstellen:
- gesunder Boden für die Vegetation
- geeignete, umweltangepasste Arten
- Wasserquellen
- grüne Korridore, die Lebensräume miteinander verbinden und verschiedenen Arten als Wander- und Lebensraum dienen.
Boden und Wasser sind in urbanen Räumen meist schon vorhanden, allerdings häufig verschmutzt, abgeschnitten oder überbaut. Die Renaturierung erfordert die Reinigung und Wiederbelebung dieser Ressourcen.
Balin ist eine Pionierin auf diesem Gebiet. „Urban Rewilding“ ist ein relativ neues Thema, insbesondere in der Türkei. Sie hat jedoch bereits seit mehr als zehn Jahren Erfahrung mit ökosensiblen Projekten für verschiedene Firmen und öffentliche Auftraggeber:innen. Ihre Zeit bei dem japanischen Landschaftsplanungsunternehmen Keikan Sekkei Tokyo hat sie besonders geprägt. Dort lernte Balin die Sensibilität der japanischen Kultur gegenüber der Natur kennen, in der die Landschaftsgestaltung die Topografie und die Bewegungsmöglichkeiten für Tiere integriert. Die Prinzipien wendet Balin nun mit ihrer in Istanbul ansässigen Agentur für Landschaftsdesign, namens Öteki Yer an. Ihr Ziel ist es, „Hunderten von endemischen Arten“ einen Platz im städtischen Umfeld des Mittelmeerraums zu geben.


Was kann man tun? – Ratschläge für Wiederbegrünungsneulinge
Die Begrünung von städtischen Räumen ist ein wichtiger Faktor für die Steigerung der Lebens- qualität, der Gesundheit und der Widerstandsfähigkeit unserer Städte. „Jede Grünfläche muss verwildern. Gärten, Parks, Straßen, Sportplätze, Kreisverkehre, städtische Bauernhöfe, Friedhöfe usw. Aber wir können das nicht alles den Landschaftsarchitekten überlassen!“ Balin empfiehlt, dass sich jeder an der Renaturierung beteiligen sollte. „Wenn Sie es nicht für die Natur oder die Stadt tun, tun Sie es für sich selbst, für Ihre Kinder!“ „Als Erstes benötigen Sie einen geeigneten Lebensraum. Hierfür eignen sich insbesondere Balkongärten mit einheimischen Pflanzen. Ist Ihr Dach dafür geeignet, so können Sie dort Kübel aufstellen und diese bepflanzen. Die Umsetzung ist unkompliziert. Schon bald werden sich dann Vögel und Bienen zu Ihnen verirren. „Wenn Sie damit anfangen, beginnt es zu wachsen.“
Im Anschluss ist es wichtig, das Projekt in Ruhe zu lassen, damit es sich natürlich entwickeln kann. Auf den Einsatz von Pestiziden sollte unbedingt verzichtet werden. Es muss nichts weiter getan werden, Ruhe und Geduld reichen völlig aus. „Es ist so einfach“, betont Balin.
Gibt es einen einfacheren Weg, die Lebensqualität in unseren Städten zu verbessern, als nichts zu tun? Wir glauben nicht!