Gesunde Architektur

Ein Interview mit dem Grazer Architekten Thomas Pucher.

Gibt es in der Architektur eine genaue Definition, was unter „gesunder Architektur“ zu verstehen ist?

Meines Wissens gibt es keine solche Definition, mir ist zumindest keine bekannt. Ich bin seit 30 Jahren Architekt. Der Fakt, dass ich nicht weiß, ob es so eine Definition gibt, zeigt, dass sie offensichtlich in den offiziellen Anforderungen an Planungen keine große Rolle spielt. Es gibt jedoch die Nachhaltigkeitsziele der UN, die Sustainable Development Goals. Diese sind sehr umfangreich und umfassen auch die körperliche Gesundheit und das Wohlbefinden. Aber es ist nicht so, dass das bei irgendeiner Planung eine Basis ist, die man einhalten muss.

Wie würden Sie gesunde Architektur definieren?

Das Wichtigste hier ist möglichst viel Grünraum, denn wir Menschen sind stark mit der Natur verbunden. Um den Menschen in Städten eine bessere Lebensqualität zu ermöglichen, müssen Städte grüner werden und Gebäude so gestaltet sein, dass sie ein soziales Gefüge fördern. Be-grünung von Gebäuden, kompaktere Grund-flächen und die Eindämmung des Verkehrs können helfen, den Grünraum zurückzubringen Der Rückzugsraum, die eigene Wohnung, muss vielleicht gar nicht so groß sein, wie wir momentan glauben. Denn vor allem der Außenraum sollte Plätze bieten, an denen Gemeinschaft gelebt werden kann. Es ist wichtig, Geschäfte, Lokale und öffentliche Räume zu Gemeinschaftsplätzen auszubauen. In der Vergangenheit wurde dies oft vernachlässigt, aber es ist zunehmend wichtig, denn Menschen werden krank in einem gebauten Umfeld, das nicht dem menschlichen Wesen entspricht.

Der Trend in der Architektur und beim Bauen ist das Thema Nachhaltigkeit. Was bedeutet nun „nachhaltige und gesunde Architektur“?

Vor Beginn der industriellen Revolution haben wir Menschen nachhaltig gebaut und gelebt. Die Ressourcen, die verbraucht wurden, konnten von der Natur auch wieder regeneriert werden. Davon sind wir mittlerweile weit entfernt. Heute müssen wir tiefgreifendere Lösungsansätze finden, um nachhaltige und gesunde Architektur zu schaffen. Nachhaltigkeit heute sollte bedeuten, bei all dem, was wir bauen, zuerst zu überlegen, was davon wir wirklich brauchen. Ich glaube: Wenn wir mehr auf Qualität statt auf Rendite setzen, würde die Hälfte von all dem reichen.

Das Gebaute sollte aus nachwachsenden oder biologischen Rohstoffen bestehen und recycelbar sein, um natürliche Kreisläufe zu schaffen. Idealerweise kann also ein Haus beim Abriss auf die Wiese geleert werden und dort Dünger für die nächsten Pflanzen bilden. Dasselbe gilt auch für die Energieerzeugung, die das Haus benötigt, und für den Abfall, den Menschen im Haus produzieren.

Thomas Pucher ist ein preisgekrönter Architekt und Gründer des Ateliers Thomas Pucher in Graz. Sein Ziel ist es, nachhaltiges Design zu schaffen und Umwelt- und soziologische Konzepte zu fördern. © Lupi Spuma

Wenn wir uns jetzt auf den Faktor Gesundheit fokussieren – wie sieht hier für Sie eine gelungene Planung und Architektur aus?

Das Wesentliche ist für mich der Grünraum und die Einbettung in die Natur. Luft, Licht und Boden in guter Qualität sind essenziell. All diese Aspekte sind nur mehr sehr eingeschränkt vorhanden, sie wurden verschmutzt. Ich glaube aber, dass diese Dinge funktionieren müssen, damit wir wieder in einer gesunden Umwelt leben

können. Der nächste Schritt sind dann die Materialien, aus denen die Gebäude gefertigt werden. Es sollte alles aus recycelbaren, bio-logischen Materialien gebaut sein, damit wir zumindest in unserem Haus in einer gesunden Umwelt leben können. Der nächste Aspekt ist das soziale Wohlbefinden. Hier geht es um die Abstufung zwischen Privatheit und Öffentlichkeit und all die Facetten dazwischen.

Welches Wohnumfeld stresst Bewohner:innen Ihrer Meinung nach? Welche Wohnsituation kann krank machen?

Alles, was Stress macht, macht krank. Der andere Punkt ist: Alles, was uns an Giften umgibt und was wir in unseren Körper hineinlassen, macht auch krank. Die Gifte sind in der Luft, im Boden und in unserer Nahrung. Denn auch die Dinge, von denen wir denken, dass sie gesund sind, haben kaum mehr Nährstoffe, weil sie eben nicht entsprechend biologisch angebaut sind. Es gibt also zwei Aspekte, die uns krank machen: Das eine sind die Gifte und das andere ist alles, was Stress erzeugt. Der Stress kann dabei aus dem privaten oder beruflichen Bereich stammen, aber auch aus dem Wohnumfeld. Dicht ver-baute Siedlungen mit wenig Licht oder kaum Grünraum oder schwierige soziale Milieus können das Stresslevel steigern. Es braucht Luft, Freiraum und Grün, soziale Gefüge müssen genauer ausgerichtet werden. All diese Dinge bieten Sicherheit, die dazu beiträgt, Stress zu reduzieren und damit das ganze Leben gesünder zu machen.

Architektur hat die Aufgabe, viele Menschen auf möglichst kleinem Raum unterzubringen. Wie verbindet man die Bedürfnisse des Menschen als Individuum und gleichzeitig als Teil der Gemeinschaft?

Das ist der Aspekt des sozialen Wohlbefindens. Es geht um den Ausgleich von privatem und öffentlichem Raum in der Architektur und der Planung von Gemeinschaftsräumen. Die Konzeption solcher Räume muss von vielen verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, da Gemeinschaft nun mal vielschichtig ist. Ein einziger Architekt kann nicht planen, wie eine gesamte Gemeinschaft funktioniert. Ein Raum, der von vielen genutzt wird, muss auch von vielen konzipiert werden. Man muss sich jedoch von dem Bild entfernen, dass es hier eine perfekte Lösung gibt. Jeder Mensch ist ein Individuum und unsere Qualität liegt in der Vielfalt, die sich daraus ergibt. Wir alle müssen wieder lernen, zusammenzuleben, zu akzeptieren und die Unterschiede als Stärke zu betrachten, die Raum für Entwicklung bietet. Nur so kann eine Gemeinschaft funktionieren und nur so kann man diese gemeinschaftlichen Räume auch vielfältig gestalten.

Heute hat man das Gefühl, dass die Architektur einfach den Zweck der Behausung erfüllen muss. Wird die Architektur aufgrund des Wohnungsüberangebots in Städten verändert oder ist günstiger Wohnraum in der aktuellen Krise wichtiger?

Eine Krise in der Gesellschaft ist wie Fieber im Körper regenerierend und bietet Chancen zur Verbesserung. Ist man klug, passt man das eigene Verhalten nach der Krise an, um künftig positiv in die Zukunft blicken zu können. Und genau so ist es momentan mit den Wohnungsmärkten. In Österreich wurde viel unter dem Renditegedanken gebaut und Unrentables weggelassen. Das führte zu extremer Neubauunbeliebtheit und teurem, eingeschränktem Bauen durch zahlreiche Gesetze. Wir als Gesellschaft müssen endlich erkennen, welchen enormen Einfluss unser Wohnumfeld auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat. Erst wenn das passiert, kann und wird sich die Gesamtsituation ins Positive wandeln.

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