Einfache Entscheidungen

Wie wir Klarheit in komplexen Situationen finden, erklärt die Juristin und Psychologin Bettina Kapfer.

Warum fällt es uns oft so schwer, Entscheidungen zu treffen? Was beeinflusst unsere Entscheidungsfähigkeit?

Mag. Bettina Kapfer: Entscheidungen zu treffen, ist ein komplexer Prozess, bei dem viele Faktoren zusammenwirken. Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, unser Überleben zu sichern, und das bedeutet, Energie zu sparen. Das führt dazu, dass unser Gehirn in schwierigen Entscheidungssituationen schnell auf bekannte Muster oder Automatismen zurückgreift – manchmal auf Kosten von Genauigkeit oder Langfristigkeit.

 

Unsere Tagesform, das Stresslevel oder die allgemeine Zufriedenheit beeinflusst, wie klar und zielgerichtet wir denken können.

Hinzu kommen individuelle Persönlichkeitsmerkmale, die beeinflussen, wie wir Entscheidungen angehen. Beispielsweise kann eine hohe Gewissenhaftigkeit, eines der sogenannten „Big Five“-Persönlichkeitsmerkmale, dazu führen, dass wir uns in Details verlieren, weil wir alles gründlich und perfekt machen wollen. Das kann Entscheidungen unnötig kompliziert machen. Andererseits kann Offenheit für Neues die Entscheidungsfindung erleichtern, da sie mit einer größeren Flexibilität einhergeht.

Auch emotionale Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Unsere Tagesform, das Stresslevel oder die allgemeine Zufriedenheit beeinflusst, wie klar und zielgerichtet wir denken können. Zudem sind persönliche Werte und Glaubenssätze entscheidend. Sie geben uns Orientierung, können aber auch einschränkend wirken, wenn sie zu rigide sind. Diese prägen unser Handeln bei kleinen und auch großen Entscheidungen – und das ganz unabhängig davon, ob wir uns dessen überhaupt bewusst sind.

Und schließlich sollten wir den Einfluss des sozialen Umfelds nicht unterschätzen. Menschen orientieren sich oft an den Meinungen anderer, und auch das passiert manchmal ganz beiläufig, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Das beginnt schon in der Kindheit, wenn wir lernen, durch Nachahmung und soziale Rückmeldungen Entscheidungen zu treffen.

Mag. Bettina Kapfer, MSc ist Juristin und Psychologin. Als Anti-Stress-Coach und Resilienz-Expertin unterstützt sie Menschen mit hohen Ansprüchen dabei, Ziele erfolgreich zu erreichen, ohne dabei die eigene Gesundheit zu opfern. Im Coaching und in ihren Workshops verbindet sie wissenschaftlich fundierte Methoden mit praxiserprobten Strategien für ressourcenorientiertes Stressmanagement – ein Ansatz, der persönliche Stärken gezielt ausbaut und die psychische Widerstandskraft nachhaltig stärkt. © Dr. Dagmar Urbanek

Wie wirkt sich die Vielzahl an Optionen auf unsere Entscheidungsfähigkeit aus? Warum fühlen wir uns oft überfordert?

Eine Überflutung mit Optionen ist ein großer Stressfaktor. Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto mehr Energie verbraucht unser Gehirn, um sie zu analysieren und zu bewerten. Dies führt oft zu einer sogenannten Entscheidungsparalyse: Wir fühlen uns handlungsunfähig, weil wir befürchten, etwas Wichtiges zu übersehen oder uns falsch zu entscheiden.

Es gibt Menschen, die eine hohe Toleranz für Unsicherheit haben – das nennt man Ambiguitätstoleranz.

Dem „Energiesparen“ ist es geschuldet, dass unser Gehirn leider in solchen Momenten oft auf Abkürzungen und kognitive Verzerrungen zurückgreift. Es fokussiert sich dann beispielsweise nur auf Informationen, die unsere bestehenden Überzeugungen bestätigen, während es widersprüchliche Fakten ausblendet. So versucht das Gehirn, Komplexität zu reduzieren, was aber dazu führen kann, dass wir voreilig entscheiden oder Chancen übersehen.

Ein bewährtes Mittel gegen Überforderung ist die Priorisierung. Ich empfehle, sich auf jene Kernaspekte zu konzentrieren, die wirklich wichtig sind. Eine hilfreiche Frage kann auch sein: „Wie relevant ist diese Entscheidung in fünf Minuten, fünf Monaten und fünf Jahren?“ Diese Perspektive schafft Klarheit und reduziert unnötige Details.

Wie können wir lernen, besser mit Unsicherheit und der Angst vor falschen Entscheidungen umzugehen?

Unsicherheit gehört zum Leben und besonders zu Entscheidungen, die in die Zukunft wirken. Ein wichtiger Schritt ist, diese Unsicherheit zu akzeptieren. Wir können nie alle Eventualitäten voraussehen, aber wir können die Bedingungen schaffen, unter denen wir möglichst klar entscheiden. Das bedeutet, sich Zeit zu nehmen, in einem ruhigen Zustand zu entscheiden und über die eigenen Werte und Ziele nachzudenken.

Es gibt Menschen, die eine hohe Toleranz für Unsicherheit haben – das nennt man Ambiguitätstoleranz. Andere wiederum fühlen sich durch die Ungewissheit blockiert. In solchen Fällen hilft es, kleine Schritte zu machen, statt auf die perfekte Lösung zu warten. Ein weiterer Ansatz ist, sich bewusst zu machen, dass keine Entscheidung endgültig perfekt sein muss. Sie muss in der jeweiligen Situation sinnvoll sein.

Besonders Perfektionist:innen haben oft Angst vor Fehlern und versuchen, jede Entscheidung bis ins letzte Detail abzusichern. Hier rate ich, sich gezielt zu fragen: „Was ist gut genug?“ oder „Was wäre die zweitbeste Option, mit der ich leben könnte?“ Entscheidungen in kleinere, überschaubare Schritte zu zerlegen, kann ebenfalls helfen, den Druck zu reduzieren.

Wie können wir unnötige Komplexität in unseren Entscheidungsprozessen erkennen und reduzieren?

Komplexität wird oft selbst erzeugt, zum Beispiel durch endlose Recherchen oder das Sammeln immer neuer Informationen. Wenn man merkt, dass man sich im Kreis dreht oder immer neue Pro-und-kontra-Listen erstellt, ist es Zeit, innezuhalten. Stellen Sie sich die Frage: „Was ist wirklich relevant?“ und „Welche Informationen brauche ich, um eine fundierte Entscheidung zu treffen?“

Intuition, oder das berühmte „Bauchgefühl“, wird oft unterschätzt, ist aber ein wichtiger Bestandteil unseres Entscheidungsprozesses.

Hilfreich ist es auch, Entscheidungen nach ihrer Dringlichkeit und Wichtigkeit zu sortieren. Ein einfaches System dafür ist die „Ampelmethode“: Grüne Entscheidungen sind schnell und ohne großen Aufwand zu treffen, gelbe Entscheidungen verdienen mehr Aufmerksamkeit, und rote Entscheidungen erfordern sorgfältige Überlegung. Diese Struktur schafft Klarheit und verhindert, dass man sich auch bei kleinen, unwichtigen Entscheidungen verzettelt.

Ein weiteres Mittel ist die Konzentration auf Kernfragen: „Was ist mein Ziel? Welche Werte sind mir wichtig?“ Und auch die zeitliche Perspektive kann wieder hilfreich sein: „Wie relevant ist diese Entscheidung in einem Jahr oder in zehn Jahren?“

Welche Rolle spielt Intuition bei Entscheidungen?

Intuition, oder das berühmte „Bauchgefühl“, wird oft unterschätzt, ist aber ein wichtiger Bestandteil unseres Entscheidungsprozesses. Unser Körper gibt uns ständig Signale, die auf früheren Erfahrungen basieren. Diese sogenannten „somatischen Marker“ sind das Ergebnis von neurologischen Prozessen, die unsere Wahrnehmung und unser Verhalten beeinflussen. Kurz: Erinnerungen sind nicht nur im Gehirn abgespeichert, sondern auch im Körper.

Viele Menschen ignorieren diese Signale, besonders wenn sie sich stark auf logische Analysen verlassen. Doch die Neurowissenschaften haben gezeigt: Unser „Bauchgefühl“ ergänzt unsere Rationalität. Ein Beispiel: Wenn jemand trotz einer perfekt analysierten Pro-und-kontra-Liste immer noch zögert, liegt das oft daran, dass das Bauchgefühl etwas anderes signalisiert. In solchen Momenten sollte man innehalten und auf diese unbewussten Impulse achten.

Welche Tipps können Sie Menschen geben, die sich oft von Entscheidungen überfordert fühlen?

Am wichtigsten ist aus meiner Sicht, dass man sich klar machen sollte, dass es keine „perfekte Entscheidung“ gibt. Niemand von uns kann in die Zukunft blicken, niemand weiß, wie die Dinge sich entwickeln werden. Darum sollte man sich klar machen, dass eine gute Entscheidung eine solche ist, bei der man zum Entscheidungszeitpunkt alle relevanten Aspekte berücksichtigt hat.

Übung kann helfen, den eigenen Entscheidungsstil besser zu verstehen und zu entwickeln.

Für Menschen, die sich gerne verzetteln, ist es wichtig, dass sie lernen, zwischen wichtigen und unwichtigen Details bzw. Entscheidungen zu unterscheiden. Techniken wie die Skalenmethode – etwa „Wie wichtig ist dieses Detail auf einer Skala von 1 bis 10?“ – oder das zeitliche Einordnen der Relevanz einer Entscheidung können hier helfen.

Zudem empfehle ich, Entscheidungen bewusst zu trainieren. Fangen Sie mit kleinen Entscheidungen an und reflektieren Sie, wie es sich anfühlt, sie schneller oder intuitiver zu treffen. Übung kann helfen, den eigenen Entscheidungsstil besser zu verstehen und zu entwickeln. Auch der Blick darauf, welche guten Entscheidungen man bisher schon getroffen hat, und dass „schnelle“ oder „gut genug“ Entscheidungen in der Regel ebenfalls funktionieren, kann helfen.

Nach oben scrollen