Beton ist das Rückgrat moderner Städte – und ein Klimasünder ersten Ranges. Doch was passiert mit all dem Material, wenn Gebäude ihre Lebensdauer überschritten haben? Und wie realistisch ist ein zirkulärer Umgang mit dem wohl starrsten aller Baustoffe? Ein Gespräch mit Prof. Dr.-Ing. Christian Glock von der Technischen Universität Kaiserslautern zeigt, warum der Wandel in der Bauwirtschaft überfällig ist – und welche Barrieren noch bestehen.
Der stille Gigant unter den Umweltsündern
Beton ist überall: in unseren Straßen, Brücken, Wohnhäusern und Bürotürmen. Was viele nicht wissen – nach Wasser ist Beton der am meisten genutzte Stoff der Welt. Doch mit seinem Siegeszug geht auch eine Schattenseite einher: massive CO₂-Emissionen, Ressourcenverbrauch im großen Stil und eine unüberschaubare Menge an Bauschutt. Der Bauingenieur und Betonexperte Christian Glock beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wie sich dieser riesige ökologische Fußabdruck verkleinern lässt. Seine Antwort: mit einem ganzheitlichen Blick auf Wiederverwendung und Recycling – aber auch mit der Einsicht, dass der Umbruch kein einfacher ist.
Eine Mauer um die Welt
Glock veranschaulicht die globale Dimension unseres Betonverbrauchs gern mit einem drastischen Bild: Würde man die jährlich verbauten Mengen zu einer ein Meter dicken Mauer rund um den Äquator aufschichten, wäre sie inzwischen 350 Meter hoch. Vor zwanzig Jahren lag sie bei 100 Metern. Die Wachstumsdynamik ist ungebrochen – ebenso wie die Umweltlast. Denn: Jede produzierte Tonne Beton setzt fast ebenso viel CO₂ frei. Ein Preis, den wir für unsere Infrastruktur zahlen – für Straßen, Wohnraum, Brücken, Tunnel. „Mit wachsendem Wohlstand wächst der Bedarf. Und mit ihm der Materialverbrauch“, erklärt Glock. Ressourcenschonung oder Klimabilanz? Oft Fehlanzeige.
Globale Gerechtigkeit und die Betonfrage
Die Verantwortung für diese Entwicklung lässt sich allerdings nicht einfach einzelnen Staaten zuschieben. Länder wie China verbrauchen inzwischen über 50 Prozent des weltweit produzierten Zements – doch Glock mahnt zur Fairness: „Sie machen nur das, was wir im Westen vor Jahrzehnten getan haben.“ Eine globale CO₂-Bepreisung von Beton könnte helfen, Emissionen zu senken – würde aber zugleich Entwicklungsfortschritte im globalen Süden massiv ausbremsen.
Die Baustelle Bauindustrie
Ein Problem: Der Bau bleibt ein fragmentierter Sektor. Anders als etwa die Automobilindustrie ist er kaum industrialisiert. Viele kleine Akteure arbeiten nebeneinander – Architekt:innen, Handwerker:innen, Ingenieur:innen. Die Koordination fehlt, ebenso das Bewusstsein für das große Ganze. Glock bringt es auf den Punkt: „Gebäude werden nicht als Produkt verstanden.“ Die Folge: geringe Effizienz, kaum Innovationsdruck – und wenig Spielraum für nachhaltige Ansätze.
Standardisierte Hindernisse
Auch die geltenden Bauvorschriften behindern laut Glock oft Innovation. Zwar seien sie aus Sicherheitsgründen wichtig, doch neue Ansätze – etwa beim Recycling von Materialien – durchlaufen lange Zulassungsverfahren. „Bis eine Idee offiziell erlaubt ist, ist sie längst überholt.“ Für Glock ist klar: Neben Sicherheitsaspekten müssen auch Klimakriterien zum Standard werden – etwa bei öffentlichen Ausschreibungen.
Glock fordert, dass Klimakriterien bei öffentlichen Ausschreibungen Standard werden müssen.
Downcycling statt echter Kreislauf
Aktuell werden in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden rund 70 Prozent des Bauschutts wiederverwendet – allerdings meist für den Straßenunterbau. Für Glock ist das kein echtes Recycling: „Das Material wird in eine minderwertige Form überführt – ein klarer Fall von Downcycling.“ Hinzu kommt: Der Rückbau, die Aufbereitung, der Transport – all das verbraucht Energie und setzt Emissionen frei. Auch recycelter Beton ist nicht automatisch klimafreundlich. „Recycling hört sich gut an, aber fürs Klima bringt das wenig“, so Glock. Wer CO₂ sparen will, solle lieber die Heizung runterdrehen und einen Pullover anziehen.
Drei Prinzipien für nachhaltiges Bauen
Vermeiden statt abreißen – Gebäude sollten so geplant werden, dass sie lange nutzbar bleiben – energieeffizient, flexibel, sanierbar. Der größte Hebel liegt in der Langlebigkeit. Wer zukunftsfähig baut, spart auf Jahrzehnte Ressourcen und Emissionen.
Modulares Denken – Wie ein Lego-Baukasten: Decken, Wände und Bauelemente sollten sich zerlegen und neu zusammensetzen lassen. Das funktioniert sowohl mit Holz als auch mit Beton – entscheidend ist die Planung. Kreislauf heißt nicht nur recyceln. Kreislauf heißt: wiederverwenden.
Recycling als letzter Schritt – Ist beides nicht möglich, bleibt das Recycling. Glock empfiehlt: 20 bis 25 Prozent recycelter Anteil im Beton wären ein realistischer und wirkungsvoller Anfang.
Fazit: kein Heilsversprechen – aber eine echte Chance
Recycelter Beton ist kein Wundermittel – und sollte es auch nicht sein. Doch angesichts der gigantischen Mengen an Bauschutt macht es Sinn, den Blick zu weiten und neue Wege im Umgang mit Materialien zu gehen. Die Zukunft des Bauens wird nicht ohne Beton auskommen – aber vielleicht auf einen klügeren Umgang mit ihm setzen. Was bleibt, ist die Erkenntnis: Wenn wir es ernst meinen mit Klimaschutz, dann müssen wir nicht nur über Verkehr oder Energie sprechen, sondern über jeden einzelnen Stein, der unsere Städte formt.


