Die Gewerkschaft vida und die Arbeiterkammer Wien warnen im Rahmen der gemeinsamen Initiative „Unserer Bahnen“ vor einem Privatisierungswahn in der EU bei der Vergabe von Personenverkehrsleistungen auf Eisenbahnen, der auch auf Österreich zukommen könnte. In Österreich fährt man mit den Direktvergaben bestens: Eisenbahnunternehmen wie etwa die ÖBB werden direkt mit der Durchführung von Personenverkehrsleistungen beauftragt. Dass sich das bewährt, untermauert auch eine neue Kurzstudie „Verfehlte Weichenstellungen in Richtung Wettbewerb – Erfolgskriterien für die Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene“ der Universität zu Köln. „Es ist ein Mythos, dass Wettbewerb und Billigstbieter zu besserer Schienen-Preis-Leistung führen“, heißt es vom Studienautor Prof. Dr. Tim Engartner: Ein Ausschreibungswettbewerb bringt keinen Kostenvorteil.
„Ausschreibungswettbewerb ist sowohl für die Auftraggeber als auch für die Auftragnehmer aufwendiger und kostspieliger und geht somit zulasten der Steuerzahler:innen.“ – Prof. Dr. Tim Engartner, Universität zu Köln, Studienautor
„Das ist gut so“
Auch der Verkehr wird durch Ausschreibungen nicht vermehrt von der Straße auf die Schiene verlagert. Öffentliche Ausschreibungsverfahren im Bahnsektor sind in Deutschland Usus, in Österreich setzt man auf Direktvergabeverfahren, und „das ist gut so“, stellt Engartner fest. Denn Ausschreibungswettbewerbe in Deutschland belegen, dass es so gut wie keine Vorteile gegenüber Direktvergaben gibt. So stehen in Deutschland rund 2,4 Millionen öffentliche Auftragsverfahren Prozesskosten in der Höhe von 19 Mrd. Euro gegenüber.
Kostengünstigere Direktvergabe
Direktvergaben sind laut Engartner deutlich kostengünstiger. Zudem käme es zu einem doppelt so hohen Zeitaufwand wie bei Direktvergabeverfahren. Aus Sicht Engartners braucht es auch in Deutschland und anderen Ländern mehr gezielte Investitionen in den Bahnverkehr. Sowohl in der Schweiz als auch in Österreich führen hohe Pro- Kopf-Investitionen zu „erfreulichen“ Resultaten für Bahnreisende.

Mobilität bedeutet Freiheit
Was würde ein Ausschreibungswettbewerb für die erfolgreichen österreichischen Bahnen bedeuten? Welche Szenarien lassen sich aus den Studienergebnissen für die Eisenbahnbeschäftigten und die Fahrgäste ableiten? Welche Faktoren machen die rot-weiß-roten Bahnen zum europaweiten Vorbild? Olivia Janisch, stv. Vorsitzende der Gewerkschaft vida und des vida-Fachbereichs Eisenbahn, hat zu den Studienergebnissen Engartners eine klare Meinung: Mobilität bedeutet Freiheit und spiegelt nicht nur ein Grundbedürfnis, sondern auch das Recht der Menschen wider, zuverlässig und sicher von A nach B zu kommen: in die Arbeit, in die Schule, ins Krankenhaus oder in den Sportverein. Umweltfreundlicher und leistbarer öffentlicher Verkehr für alle, wie er in Österreich landesweit angeboten wird, kann aber niemals kostendeckend sein. Er wird deswegen über öffentliche Gelder mitfinanziert, dient und gehört der Allgemeinheit.
Liberalisierungsdogma der EU-Kommission
Wie die gemeinwirtschaftlichen Verkehre für alle Menschen in der EU finanziert, organisiert und vergeben werden, ist in der sogenannten PSO-Verordnung geregelt. Für die Bahn ist dabei durch den europäischen Gesetzgeber – Rat und Europäisches Parlament – eine Wahlmöglichkeit zwischen Direktvergabe und wettbewerblicher Ausschreibung vorgesehen, erläutert Janisch. „Die Europäische Kommission hingegen bleibt ihrem Liberalisierungsdogma treu und treibt den schädlichen Ausschreibungswettbewerb voran. Und dies, obwohl sich in der Europäischen Union die Direktvergabe als Erfolgsmodell bewährt hat und rund 70 Prozent der gemeinwirtschaftlichen Verkehre durch die öffentliche Hand vergeben werden – in Österreich sind es über 80 Prozent der Schienenpersonenverkehre“, kritisiert die vida-Gewerkschafterin. Auch hierzulande garantiert die Direktvergabe ein breites Zugangebot sowie die langfristige Weiterentwicklung und Verbesserung wie zum Beispiel den Taktfahrplan.
Ausschreibungswettbewerb schwächt Bahnen
Die Beispiele aus der Studie der Universität zu Köln zeigen klar, dass der Ausschreibungswettbewerb zu einer Schwächung der Bahnen führt: Strecken wurden eingestellt, Investitionen in Infrastruktur und rollendes Material vernachlässigt. Nach allfälligen anfänglichen Vergünstigungen wurden Tickets rasch teurer. Qualität und Umfang der Leistungen, Sauberkeit, Zuverlässigkeit sowie Pünktlichkeit nahmen ab. Mehr Wettbewerb auf der Schiene bedeutet somit weniger Bahn, sagt Janisch. In Österreich nutzt mehr als die Hälfte der Erwerbstätigen täglich Nah- und Regionalverkehrsstrecken, die durch die öffentliche Finanzierung garantiert werden. Oft werden Hochgeschwindigkeitsstrecken von Befürwortern des Ausschreibungswettbewerbs als positive Beispiele angeführt. Diese Strecken sind jedoch im Alltag der Menschen kaum relevant.
„Wer bei Personal und Ausbildung spart, gefährdet die Sicherheit von Beschäftigten und Fahrgästen.“ – Olivia Janisch, stv. Vorsitzende der Gewerkschaft vida und des vida-Fachbereichs Eisenbahn
Sparen beim Personal
Die Fixkosten für konkurrierende Eisenbahnunternehmen u.a. für Trassenentgelte, Energie und rollendes Material sind hoch. Gespart werden kann daher nur beim Personal. Das führt, wie man an den Studienergebnissen sehen kann, zu Lohn- und Sozialdumping sowie zu Verstößen gegen arbeitsrechtliche Vorschriften. Eine Negativspirale wird in Gang gesetzt: Die Bahn wird nicht mehr als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen, verstärkter Personalmangel ist die Folge und die ohnehin schon hohe Arbeitsbelastung der Belegschaften verschärft sich weiter, analysiert Janisch.
Österreichs Rekordbahnen
In Österreich würde eine derartige Entwicklung den öffentlichen Personenverkehr massiv gefährden. 2023 war ein Rekordjahr für unsere Bahnen: Sie beförderten rund 32 Millionen Fahrgäste, die dabei insgesamt 14,5 Milliarden Kilometer auf der Schiene zurücklegten. „Für diese Leistung steht heute schon viel zu wenig Personal zur Verfügung. 4,5 Millionen Überstunden und 400.000 nicht konsumierte Resturlaubstage sind ein klarer Indikator“, warnt die vida-Gewerkschafterin.

Sparen birgt Sicherheitsrisiken
Sparen beim Personal bringt nicht nur aufgrund der höheren Arbeitsbelastung und der generellen personellen Unterdeckung ein höheres Sicherheitsrisiko mit sich. Insbesondere wenn Ausbildungsstandards gesenkt werden, können auch Leib und Leben von Beschäftigten und Fahrgästen gefährdet werden. „Sicherheit ist nicht optional, denn die Beschäftigten unserer Bahnen tragen die Verantwortung für Menschenleben“, unterstreicht Janisch. Einheitliche europäische Ausbildungsrichtlinien sind dringend erforderlich und müssen die höchsten Standards erfüllen. Nur so lässt sich auch Lohndumping verhindern, eine grenzüberschreitende Anerkennung von Lizenzen gewährleisten und somit die Qualität im Schienenverkehr zum Wohle der Menschen verbessern.
Investieren ins Erfolgsmodell
Das System Eisenbahn in Österreich ist ein Erfolgsmodell. Es ist Ausdruck des politischen Willens, den öffentlichen Verkehr zum Wohle der Bevölkerung zu gestalten. Diesen Willen wollen die Beschäftigten und die Menschen im Land weiterhin sehen. „Oberste Priorität haben derzeit die dringend nötigen Investitionen ins Personal und das Halten der hohen Ausbildungs- sowie Sicherheitsstandards. Die Erfolgsfaktoren wie der integrierte ÖBB-Konzern, eine langfristig gesicherte Infrastrukturfinanzierung, ausreichende Investitionen in Material sowie die Direktvergabe von Personenverkehrsleistungen dürfen nicht angegriffen werden. Sie sind das stabile Rückgrat des öffentlichen Verkehrs in Österreich und dürfen nicht am Altar der Liberalisierungsreligion geopfert werden“, bekräftigt vida-Gewerkschafterin Janisch.