Vom Hof ins Herz

Im Gespräch mit Gina Mihaela Ignat, Hausbetreuerin in der BWS-Wohnhausanlage in der Wiener Nordbahnstraße.

Happy together hatte das Vergnügen, an einem Nachmittag in einer Wohnhausgemeinschaft dabei sein zu dürfen, in der Zusammenhalt großgeschrieben wird und Achtsamkeit vieles wettmacht. Nun ließe das die Vermutung zu, dass es sich bei dem Wohngebäude um ein kürzlich errichtetes, dem neuesten Stand der Technik entsprechendes Gebäude handeln könnte, wo selbstverständlich auch Gemeinschaftsräume sowie Dach- und Innengärten vorhanden sind. Dem ist keineswegs so: Die Wohnhausanlage in der Nordbahnstraße 8a wurde 1965 errichtet und das ist ihr auch anzusehen: Die Stiegenhäuser sind kompakt, gedrungen, mit Eisengeländern und grau gesprenkelten Treppen versehen. Die Deckenhöhe der Räume beträgt gefühlt keine 2,60 Meter. Die Fassade wurde in den vergangenen Jahren bereits erneuert. Keine der 63 Wohnungen verfügt über eine Freifläche; wer aus dem Fenster in den Innenhof blickt, sieht sich selbst gespiegelt. Der quadratisch angelegte Hof ist betoniert, Garagentore und die Eingänge zu den vier Stiegen wechseln sich ab. Auf den ersten Blick ist nur anders, dass liebevoll arrangierte Blumen und Grünpflanzen den Hof verschönern. Wenn man genauer hinsieht, springt einem auch die ungewöhnliche Sauberkeit aller Oberflächen ins Auge.

Wenn Unstimmigkeiten auftauchen, mit dem einen oder anderen Mieter, sucht sie das Gespräch unter vier Augen.

Die Freude an kleinen Dingen

Gina Mihaela Ignat heißt die Dame, welche dafür verantwortlich zeichnet. Sie wohnt seit dem Jahr 2008 in der Nordbahnstraße 8a und ist seit vier Jahren als Hausbetreuerin für die BWSG aktiv. Neben den vier Stiegen am Standort betreut sie auch eine Liegenschaft in Floridsdorf, die sie einmal pro Woche aufsucht. Ignat lebt mit ihrer Katze Julia in einer kleinen, geschmackvoll eingerichteten Wohnung. Man merkt ihr Gespür für Design. „Ich liebe es, Freude in die Wohnung zu bringen, immer wieder Kleinigkeiten zu ändern. Das muss alles nicht viel kosten. Man kann es sich auch so schön machen“, sagt Ignat und strahlt übers ganze Gesicht. Ein Blümchen da, eine Vase dort, hier eine Kerze. Katze Julia beschnuppert den Besuch vorsichtig. Sie ist eine „Spaziergehkatze“. Bei Rundgängen oder auch bei manchen Einkäufen sitzt sie auf der Schulter von Ignat und beobachtet die Gegend. Die Britisch-Kurzhaar- Samtpfote ist auch das Reisen gewöhnt – ob mit Zug oder Flugzeug. Oft geht es in Ignats Herkunftsland Rumänien, wo die Mutter der Hausbetreuerin lebt. „Ich selbst fühle mich im Herzen als Österreicherin“, sagt Ignat, die seit der Jahrtausendwende hier lebt und arbeitet.

Dieser Mieter wohnt seit zwölf Jahren in der Nordbahnstraße 8a. Auch sein Tenor über Gina M. Ignat lautet: „Super zufrieden, das gab’s echt noch nie.“ © Vera Bauer/BWSG
Die Beschriftung dieser Tür in der Wohnhausanlage zeugt von einem Beruf, den es heute nicht mehr gibt: Trotzdem ist Gina Mihaela viel mehr als eine Hausbesorgerin für die Anlage. © Vera Bauer/BWSG

Von allerlei „Joobs“ in der Anlage

Beim Rundgang durch die Wohnhausanlage begegnen wir einigen Bewohner:innen. Alle sind freundlich, grüßen Gina Mihaela Ignat herzlich und es werden ein paar Worte ausgetauscht – weit mehr als ein „Hallo“. Es geht um einen Zeitpunkt, eine Sache, eine Erinnerung. „Warum die Gina so eine tolle Hausbetreuerin ist, fragen Sie? Na, weil keiner so ist wie sie, sagt Bewohnerin Lisi M. „Sie ist immer da für uns, egal, was und wann wir etwas brauchen.“ Selbstverständlich ist das in der Tat wirklich nicht. Wer heutzutage Hausbetreuer:in ist, hat normalerweise fixe Zeiten, in denen gearbeitet wird. Ist etwas kaputt, wird zum Telefon gegriffen. Gina Mihaela greift selbst zum Hammer oder anderen Werkzeugen, je nachdem, was sie gerade braucht. Ob es sich dabei um das Ausbessern von Treppen mit Beton handelt oder die Fensterrahmen der Keller einen neuen Anstrich vertragen. „Ich habe es gern, wenn alles schön und ordentlich ist. Es muss immer sauber sein. Ich finde immer etwas, was verbessert gehört“, sagt Ignat. Dann verfinstert sich ihre Miene leicht. „Oh nein, was ist nächste Woche, da ist wieder ein Feiertag, oder? Katastrophe. Ich mag keine Feiertage“, sagt sie und hält sich beide Hände vors Gesicht. „Ich weiß, ich bin wie ein Biene. Ich muss immer etwas tun, ich kann nicht sitzen.“ Sie spricht auch ein ernstes Thema an. „Was ich nicht mag, sind Leute, die nicht arbeiten wollen. Man findet immer eine Arbeit, wenn man will“, sagt sie bestimmt. Dazu fällt ihr eine Anekdote ein: Ein (ehemaliger) Bewohner, der jahrelang erwerbslos war, kam einmal auf sie zu und verwies auf seine neue Jacke. Sie sei von Joop (Anmerkung: eine Designermarke), erklärte er stolz. „Da habe ich zu ihm gesagt. Was willst du mit ‚Joop?‘ Du brauchst einen ‚Joob!‘“, kichert Gina Mihaela. Wenn Unstimmigkeiten auftauchen, mit dem einen oder anderen Mieter, sucht sie das Gespräch unter vier Augen. „Ich streite nicht, ich sage, gemma eine rauchen“, sagt Ignat. „Am wichtigsten ist mir, dass alle zufrieden sind. Wenn sich die Bewohner:innen freuen, geht das direkt in mein Herz.“

Gina und Lisi: Die Hausbetreuerin und die Mieterin verstanden sich auf Anhieb und sind mittlerweile gut befreundet. © Vera Bauer/BWSG
Das Ehepaar R. lebt seit 1965 in der Nordbahnstraße 8a. Gina Ignat unterstützt sie beispielsweise beim Einkaufen. Mit erhobenem Zeigefi nger und ernster Miene sagt der Herr: „Wir hatten noch nie, mit der Betonung auf NIE, noch nie so jemanden wie die Gina. Wenn ich einen Wunsch habe, kann ich nur sagen, nehmen’s uns die bitte nicht weg!“ © Vera Bauer/BWSG
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