Schon bei der Besichtigung des zukünftigen, noch leeren Wohnraums überschlägt sich unsere Fantasie mit Vorstellungen eines idealen, wohnlichen Zuhauses. Sind die Verträge dann unter Dach und Fach, geht die Grübelei zwecks optimierten Interieurs erst richtig los. Um einen hohen „Wohlfühlfaktor“ zu generieren, ist es wichtig, die Wahl von Einrichtung und Gestaltung eng an unsere individuellen Bedürfnisse zu knüpfen. Hier kann die Wohnpsychologie unterstützende Begleitung liefern.
Neben Nahrung und Bekleidung ist Wohnen wohl eines der zentralen und umfassendsten Grundbedürfnisse des Menschen. In Anlehnung an Maslows Bedürfnispyramide werden seitens der Wohnpsychologie konkret sechs große Wohnbedürfnisse definiert: Sicherheit, Rückzug, Geselligkeit, Anerkennung, Ästhetik und Selbstverwirklichung. Wobei diese ganz individuell gewichtet sein können und sich im Laufe des Lebens auch durchaus verändern.
Die Wohnpsychologie, seit den 1980er-Jahren als Wissenschaft etabliert, beschäftigt sich dabei mit den psychologischen Kriterien für eine menschengerechte Wohnumwelt sowie mit deren Auswirkung auf Verhalten, Denken, Fühlen und Handeln und die ganzheitliche psychische Gesundheit des Individuums. Während sich eine Strömung mit Wohn- und Lebensqualität im Kontext des Wohnbaus und der gesamten Wohnumwelt inklusive Außenbereich befasst, bewegt sich eine zweite, anwendungsorientierte in Richtung individuelle Persönlichkeitsberatung, die weitgehende Deckung und Übereinstimmung zwischen Persönlichkeit und Wohnraumgestaltung herstellen soll.
So erstreckt sich die praktische Relevanz nicht allein auf die ganz persönliche Gestaltung und Einrichtung von Wohnraum – viele empirische Erkenntnisse münden auch in die Konzeption etwa von Spitälern, Heimen, Kinderbetreuungs- einrichtungen oder Arbeits- und Büroräumen.
Beinahe alle Studien reihen das Bedürfnis nach Sicherheit an die erste Stelle, gefolgt von jenem nach Rückzug bzw. Erholung.
„Mensch sein heißt wohnen.“ (Martin Heidegger, Philosoph)
Wer sich mit Einrichtung und Wohnstilen näher beschäftigt, stößt recht bald auch auf Konzepte wie Feng Shui oder Hygge. Steht bei der Wohnpsychologie die Wirkung von Räumen, deren Ausstattung und Gestaltung, allein der Mensch im Mittelpunkt der Betrachtung, befasst sich Feng Shui vorrangig mit allgemeinen Einrichtungsgrundsätzen in den Wohnräumen selbst. Die Anordnung von Möbeln und Dekorationsgegenständen soll die Energieflüsse so beeinflussen, dass sie sich positiv auf die Bewohner:innen auswirken. Hygge etwa als Interior Design beschreibt hingegen einfach einen skandinavischen Lebens- und Wohnstil, der schlichte wie funktionale Gemütlichkeit vermittelt.
Was lässt sich jetzt über unsere Bedürfnisse und ihre Gewichtung sagen? Beinahe alle Studien reihen das Bedürfnis nach Sicherheit an die erste Stelle, gefolgt von jenem nach Rückzug bzw. Erholung. Die anderen vier sind bei unterschiedlichen Menschen ebenso unterschiedlich ausgeprägt. Das Wohnumfeld sollte sich demzufolge an der Priorisierung der eigenen Bedürfnisse orientieren und darauf Bedacht nehmen, unabhängig von Einrichtungsstilen oder Einrichtungsidealen. Egal, ob nüchtern modern, gar ländlich rustikal oder ganz individuell, subjektiv funktional und ohne erkennbare Stil- und Designzuschreibung – dem Sicherheitsbedürfnis wird in allen Fällen wohl am ehesten mit massiven Türen samt Sicherheitsschlössern, einbruchssicherer Verglasung und ggf. einer Alarmanlage entsprochen. Das Bedürfnis nach Geselligkeit wiederum bedingt eher einen großzügig dimensionierten Küchenbereich und Kühlschrank, einen großen Esstisch samt ausreichend Sitzgelegenheiten für die zahlreichen Gäste. Wer allerdings sein ästhetisches Empfinden in den Vordergrund stellen möchte, wird bei der Wahl des Interieurs viel- leicht eher auf Exklusivität, Eleganz oder Kultiviertheit setzen.
Auch Farben spielen beim Interieur eine wichtige Rolle: Grün steigert die Konzentrationsfähigkeit, Blau wirkt tendenziell beruhigend und abkühlend, während ein grelles Rot in geeignetem Umfeld anregend wirkt, in einem anderen Setting aber auch für permanente innere Unruhe sorgen kann. Auch die Farben des Mobiliars, etwa dunkle Möbel oder helle, können dabei auf Gemütsverfassung und Wohlbefinden Einfluss nehmen.
„Zeig mir, wie du wohnst, und ich sage dir, wer du bist“
Zwar können sich für Betrachter zwischen Wohnraumgestaltung und Persönlichkeit allenfalls vage Zusammenhänge erschließen, die zahlreichen subjektiven Einfluss- und Motivationsfaktoren hinsichtlich Wohnraumgestaltung lassen dabei jedoch nur bedingt aussagekräftige Rückschlüsse zu.
Am anderen Ende des Spektrums ihrer Wohn- und Einrichtungssituation befinden sich hingegen jene Menschen, die ein Messiesyndrom nicht als Zwangsstörung erkennen, sondern subjektiv als durchaus „funktionalen Einrichtungsstil“ beschreiben würden. Hilfe und Unterstützung in so einer prekären Lage kann auch hier die Psychologie liefern. Allerdings in einem gänzlich anderen Fachbereich.