Chaot:in vs. Ordnungsfreak

Wie viel Ordnung ist gesund? Psychotherapeut Konrad Fellerer im Interview.

Wie kann man unterscheiden, ob jemand ein gesundes Ordnungs- bedürfnis hat oder ob es sich um einen Zwang handelt?

Hier können bestimmte Persönlichkeitsmerkmale entscheidend sein. Menschen, die zu Perfektionismus und Gewissenhaftigkeit neigen, haben oft auch ein höheres Bedürfnis nach Ordnung. Bei ei- ner Zwangsstörung leiden Betroffene unter Angst oder extrem hohem Stress, wenn die gewünschte Ordnung nicht eintritt oder sie dem zwanghaften Ordnungsbedürfnis nicht nachkommen können. Menschen mit einem hohen, aber natürlichen Bedürfnis nach Ordnung sind zwar auch gestresst, können sich aber, etwa mit Humor, davon distanzieren.

Menschen, die zu Perfektionismus und Gewissenhaftigkeit neigen, haben oft auch ein höheres Bedürfnis nach Ordnung.

Welche Ursachen können dazu führen, dass ein gesundes Ordnungsbedürfnis zu einem Zwang (Ordnungszwang oder Messie-Syndrom) wird?

Es gibt genetische Dispositionen, die diese Krankheiten begünstigen können. Häufig liegt die Ursache aber auch in einem schlimmen Erlebnis oder andauerndem Stress. Auch Menschen, die als Kinder sehr streng erzogen wurden, sind häufiger betroffen. Zwangsstörungen kommen oft zusammen mit Angststörungen oder Depressionen vor.

Welche Symptome oder Verhaltensweisen weisen auf eine krankhafte Fixierung auf Ordnung hin?

Für Menschen mit einem ausgeprägten Ordnungsbedürfnis ist Ordnung zu halten ein Genuss. Wenn es jedoch krankhafte Züge annimmt, führt das Aufräumen nicht mehr oder nur sehr kurzfristig dazu, dass sich Stressymptome lösen. Bei krankhaftem Verhalten jedoch werden Hand- lungen, Rituale und die ständige Suche nach Ordnung als unangenehm und belastend empfunden.

Wie hängen Perfektionismus und das Bedürfnis nach Ordnung zusammen?

Perfektionismus steht in engem Zusammenhang mit Leistung im Allgemeinen. Perfektionist:innen streben nach hoher Leistung und zeigen dies auch im Bereich Ordnung. Das Thema Leistung ist somit nicht nur im Arbeitsbereich oder im Sport in der Freizeit präsent, sondern ebenso in der eigenen Umgebung.

 
Mag. Konrad Fellerer begleitet in seiner Praxis Menschen in Krisensituationen und unterstützt sie bei ihrer persönlichen Entwicklung. © Michael Königshofer

Wie unterscheiden sich gesunde Ordnungsliebe und zwanghaftes Ordnungsverhalten?

Bei einer Zwangsstörung gibt es keine Flexibilität oder Anpassungsfähigkeit. Man hat den Drang nach totaler Ordnung, Zwangshandlungen treten auf und Prozesse werden ritualisiert. Ein ordnungsliebender Mensch hingegen kann seine Entscheidungen flexibel treffen und auch mal auf Ordnung verzichten. Das ist jemandem, der an einem zwanghaften Syndrom leidet, nicht möglich.

Wenn es belastend wird und das Gefühl der Überforderung aufkommt, darf man mutig sein und Hilfe in Form von Coaching oder Psychotherapie hinzuziehen.

Welche Folgen kann es haben, wenn der Perfektionismus zu stark ausgeprägt ist?

Wer zu perfektionistisch ist, scheitert daran, seinen eigenen Standard aufrechtzuerhalten, und hat das Gefühl, keine Fehler machen zu dürfen. Perfektionist:innen haben deshalb oft einen hohen Stresspegel, neigen zu Angsterkrankungen, haben ein erhöhtes Depressionsrisiko, leiden unter dem Burnout-Syndrom oder geraten dadurch in soziale Isolation.

Was genau ist das Messie-Syndrom und wie unterscheidet es sich von gewöhnlicher Unordnung?

Diese Krankheit beschreibt die anhaltende Schwierigkeit, Gegenstände zu entsorgen, unabhängig von deren tatsächlichem Wert, was zu einer Anhäufung von Gegenständen führt. Auch hier spielen Zwänge eine Rolle. Der Gedanke, sich von diesen Dingen zu trennen, löst bei den Betroffenen innere Widerstände und Stressgefühle aus. Entscheidend für die Abgrenzung zwischen einer Sammelleidenschaft und pathologischemHorten ist, ob das Verhalten zu Beeinträchtigungen in bestimmten Lebensbereichen führt.

Welche Ursachen können dazu führen, dass jemand ein Messie wird?

Betroffene weisen häufig eine veränderte Informationswahrnehmung und Informationsverarbeitung auf, es geht also um schwere strukturelle Erkrankungen, die Veränderungen in der Persönlichkeit hervorrufen. Mögliche Ursachen sind etwa Depressionen, Angststörungen oder auch Zwangsstörungen.

Wie können Menschen eine Balance zwischen notwendiger Ordnung und entspannter Unordnung finden?

Das Thema Ordnung und Leistungsfähigkeit ist auch ein gesellschaftliches Thema, wir befinden uns immer wieder in dieser Ambivalenz. Es hilft zu schauen, was man braucht, um Ordnung im Leben herzustellen. Man sollte versuchen, einen Automatismus in sein Leben zu integrieren und fixe Routinen zu entwickeln. Es braucht zudem Flexibilität, um Abstand vom eigenen Leistungsanspruch zu haben. Man kann Unordnung auch als Möglichkeit sehen, sich mit Humor zu challengen, und den Perfektionismus zwar als Teil seiner Persönlichkeit zu sehen, aber eben auch zu wissen, dass es anders geht.

Was kann man tun, wenn man merkt, dass das eigene Ordnungsbedürfnis aus dem Gleichgewicht geraten ist?

Es gilt regelmäßig zu überlegen, wo im Leben Ordnung sein darf und wo zugleich Platz für Unordnung ist. Es hilft, nicht immer das große Gan- ze auf einmal zu sehen, sondern zu schauen, wo man im Moment ein Stück weit Gleichgewicht wiederherstellen kann. Wenn es belastend wird und das Gefühl der Überforderung aufkommt, darf man mutig sein und Hilfe in Form von Coaching oder Psychotherapie hinzuziehen.

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