Recherchiert man den Begriff Ordnung, dann wird dieser wie folgt definiert: Ordnung ist die Sammlung von zusammenhängenden, untereinander widerspruchsfreien Regelungen. Das Arbeitsrecht legt etwa den Ablauf der Arbeit und das Verhalten aller am Fertigungsprozess beteiligten Personen fest. Unser Schwerpunkt in diesem Magazin ist „(Un-)Ordnung“ und das Thema ist viel spannender, als es klingen mag. Denn: Ordnung und die dazugehörenden Regeln begrenzen nicht nur, sie machen Freiheit erst möglich.
Regeln nehmen die Freiheit. Haben wir es schon ohne Regeln und Ordnung versucht?
In den 1970er-Jahren wurde ein Buch der Politrockgruppe „Ton Steine Scherben“ mit dem Titel „Warum geht es mir so dreckig?“ veröffentlicht. Diese Frage stellen sich auch heute viele Menschen, insbesondere nach den zahlreichen Herausforderungen, die mit und nach der Pandemie auftraten, wie wirtschaftliche Schwierigkeiten, politische Umbrüche und soziale Veränderungen. Viele sehen sich von globalen, nationalen und persönlichen Herausforderungen überfordert. Eine verbreitete Meinung damals war, dass das System mit seinen Regeln und Verboten für das Unglück verantwortlich sei. Die Rockgruppe riet dazu, das System zu verändern: „Macht kaputt, was euch kaputt macht.“ Diese Aussage regte zum Nachdenken über notwendige Veränderungen an. Doch die Frage, wie diese Veränderungen konkret aussehen sollten, blieb bis dato offen.
Es ist wichtig, die bestehenden Regeln zu kennen, wenn man beabsichtigt, sie zu ändern, um eine neue Ordnung zu schaffen. Dies wird oft als Fortschritt angesehen. Erst wenn man die zugrunde liegenden Zusammenhänge versteht, kann man fundierte Entscheidungen treffen und effektiv Veränderungen einleiten.
Wir glauben, es ist besser, die Regeln zu kennen, wenn man sie brechen möchte, um eine neue Ordnung zu schaffen.
Es hat sich vieles verändert und daher ist es notwendig, neue, passende Regeln zu finden. Alles kaputt zu machen, ist keine Lösung. Denn ohne Regeln schaffen wir keine gute Ordnung für die Allgemeinheit, für unsere Arbeits- und Wirtschaftswelt, für das soziale Gefüge und den Umgang mit unserem Umfeld. Die zunehmende Anzahl von Gesetzen in den letzten zwei Jahrzehnten regelt viele Einzelfälle und zeigt den Versuch, auf individuelle Bedürfnisse einzugehen. Dieses detaillierte Vorgehen in der Gesetzgebung kann jedoch zu Missverständnissen führen. Statt vieler Ausnahmen für einzelne wenige sind klare, allgemeine Regelungen erforderlich, um eine geordnete und verständliche Struktur zu schaffen.
Es ist sinnvoll, die bestehenden Regeln zu verstehen, wenn man sie ändern möchte, um eine neue Ordnung zu schaffen.
Unsere Wissensgesellschaft baut auf Eigenverantwortung auf und für die brauchen wir neue Regeln. Das Wort Regel kommt aus dem Lateinischen und heißt Richtschnur. Es geht um Orientierung und nicht darum, alles bis ins kleinste Detail zu regeln und um jeden Preis daran festzuhalten.
Neue Regeln sind nur dann effektiv, wenn sie sowohl Flexibilität als auch Verbindlichkeit bieten.
Wenn wir auf das derzeit gültige Arbeitsrecht schauen, dann hat dieses mit der Entwicklung von Arbeit nicht Schritt gehalten. Heute arbeiten wir teilweise unter Bedingungen, die wir uns selbst zurechtgelegt haben, wie etwa eine Freistellung von der Arbeitszeit, um eine Schauspielvorstellung der Kinder miterleben zu können – hier geht es um mehr als nur Fürsorgepflicht, die gesetzlich verankert ist, sondern um eine individuelle Einigung zwischen Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen.
Wenn Arbeitnehmer:innen heute am Sonntag E-Mails schreiben, müssen Arbeitgeber:innen darauf hinweisen, dass dies an Sonntagen nicht gestattet ist. Eine Abmahnung könnte zur Folge haben, dass die Arbeitnehmer:innen ihre E-Mails am Sonntag verfassen und erst am Montag verschicken, um den Regelungen zu entsprechen. Solche Regeln zeigen, dass das Verständnis für deren Hintergrund oft fehlt, was zur Entstehung einer informellen Wirtschaft beitragen kann, in der viele Aktivitäten außerhalb der offiziellen Re- gelungen stattfinden.
Zu viele Regeln sorgen dafür, dass man nichts mehr effektiv regeln kann.
Es ist wichtig, eine Ordnung für eine neue Zusammenarbeit im 21. Jahrhundert zu etablieren. Regeln sind erforderlich, um materielle Sicherheit zu gewährleisten und Ausbeutung zu vermeiden. Junge Menschen sind Idealisten und definieren sich über den Sinn ihrer Arbeit – aber wo Regeln fehlen, fehlen dann auch Rechte. In einer Arbeitswelt, in der es alle gut meinen, kann es einem dann schlecht ergehen, wenn die Regeln fehlen. Die derzeitigen Regeln im Arbeitsrecht entstanden in einer Zeit, in der Arbeit nicht so selbstständig gemacht werden konnte. Um bessere Regeln zu erreichen, ist es erforderlich, sich dafür zu engagieren und diese aktiv zu gestalten. Es braucht zwischen Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen einen Rahmen betreffend Arbeitsleistung in einem bestimmten Zeitraum und eine vereinbarte Gegenleistung. Dann könnten wir alle unser Leben flexibler gestalten. Die Bezahlung und die Ziele müssen klar sein, damit es zwischen beiden zu einem Deal kommt.
Fazit ist, wir müssen uns die Frage stellen: „Was soll anders werden? Dafür brauchen wir neue Regeln, die jeder versteht – das bedeutet Ordnung.