Unser Gehirn ist so gestrickt wie vor Zigtausenden Jahren. Es ist nur begrenzt in der Lage, Reize richtig zuzuordnen. Flapsig ausgedrückt, es kann nicht immer zwischen der Begegnung mit einem Säbelzahntiger und der täglichen Reizüberflutung in unserer Umgebung unterscheiden. Das bedeutet, dass das Individuum, ohne real in Lebensgefahr zu sein, Stresshormone wie Cortisol ausschüttet, die dann die Kaskade der vegetativen Reaktionen auslösen. Jeder kennt den Zustand der mentalen Überforderung, der durch die Bombardierung unserer Sinne mit unbestimmten Reizen entsteht. Um adäquat zu reagieren, benötigen unsere Neuronen Zeit. Informationen müssen entweder gelöscht oder aber in Speicher und Zwischenspeicher abgelegt werden. Trivial erklärt, läuft das ähnlich wie bei einem Computer ab. Ist der überfordert, stürzt er ab. Genauso geschieht es mit unserem Gehirn, es reagiert bei zu viel Input ebenfalls mit einem „Absturz“ – einer Fehl-steuerung, die eine inadäquate Reizbeantwortung des Organismus zur Folge hat. Es kommt zur Auslösung einer Angstkaskade mit all den bekannten Symptomen.
Ohne diese Furcht vor dem Säbelzahntiger sind wir niemals sonst so präsent und leistungsfähig.
Um auf eine Konfrontation mit einem Säbelzahntiger zurückzukommen: Wie schon oben erwähnt, löst die Furcht vor ihm eine Aktivierung vieler Körperfunktionen aus. Sprich, so präsent und leistungsfähig sind wir ohne diese Furcht niemals sonst.
Das Bombardement durch die Millionen Reize unserer virtuellen Welt täuscht Lebensgefahr vor und unser Körper versucht, sich zu retten. Aber wohin soll man vor einer Cyberattacke fliehen? Bits und Bytes verfolgen uns ähnlich wie die Rache Gottes im Mittelalter, vor der man ebenfalls nicht davonlaufen konnte. Immerhin war es dem gläubigen Menschen damals möglich, sich von dieser Bedrohung durch Gebet oder eine andere Buße freizukaufen. Das gestattet uns der Cyberhimmel nicht. Unsere Gehirne sind nicht für diese Reizüberflutung geschaffen. Unser Gehirn hatte früher unendlich viel Zeit, um Informationen zu filtern und dann zu löschen oder abzulegen. Durch die Digitalisierung unserer Umwelt werden wir gezwungen, Entscheidungen in Millisekunden zu tätigen. Durch den permanenten hohen Stresshormonpegel, der nicht durch körperliche Erschöpfung abgebaut wird, ent-stehen Angstzustände. Diese wiederum bewirken eine Beeinträchtigung des Schlafwach-Rhythmus, was wiederum die nächtliche Reizverarbeitung stört. So beißt sich die Angstkatze in den Schwanz. Schlecht zu schlafen macht, dass die Informationen, die sich während des Tages angesammelt haben, nicht in den passenden Speicher abgelegt werden können. Infopakete aber, die unbearbeitet im Gehirn herumschwirren, stören dann während der Wachphase die Einordnung neuer Reize. Trivial erklärt: Es kommt zu einem Informationsstau und zu den damit verbundenen Einordnungsproblemen.

Wobei Ordnung für unser Gehirn ein wesentliches Regulierungswerkzeug ist. Unser Gehirn liebt die Ordnung und nicht das Chaos! Ein zeitlich geregelter Tag und eine bekannte Umgebung reduzieren unsere Stressanfälligkeit und damit auch die Angst. Zusammenfassend kann man sicher sagen, dass strenge Lebensregeln angstreduzierend wirken. Das klingt vielleicht nicht sehr spannend, ist aber Panikern sehr zu empfehlen.
Was kann man nun den unter Angst Leidenden noch empfehlen?
Die Therapieoptionen sind natürlich vom Grad der Angststörung abhängig. Menschen, die unter ständig auftretenden Panikattacken oder das Leben schwer beeinträchtigenden Phobien leiden, müssen unabhängig von einer Lebensstiländerung medikamentös behandelt werden.
Bei geringgradigen Angstzuständen, vor allem denen, die nur in speziellen Situationen – wie Flugangst – auftreten, haben sich verhaltenstherapeutische Konfrontationstherapien bewährt. Generell ängstliche, unsichere Menschen, deren Angst aber noch nicht als krankhaft gedeutet werden kann, gewinnen an Lebensqualität, indem sie im wahrsten Sinne des Wortes dem Säbelzahntiger davonlaufen. Also mindestens vier bis sechs Stunden pro Woche ein Ausdauertraining in der freien Natur, wobei der Proband auch wirklich ins Schwitzen kommen sollte. Apropos Schwitzen: Sauna wirkt ebenfalls durch eine Reduzierung der Stresshormone. Und fürs Büro auf den Schreibtisch gehört eine Tageslichtlampe, denn Tageslicht über zehntausend Lux erhöht den Serotoninspiegel.
Ein durchstrukturierter Lebensrhythmus gibt Sicherheit.
Wie schon oben erwähnt, sollte man, soweit möglich, auch danach trachten, Ordnung in die Tagesabläufe zu bringen. Ein durchstrukturierter Lebensrhythmus gibt Sicherheit. Und wem es möglich ist, einen Powernap zu Mittag zu machen, der hilft seinem Gehirn beim Ablegen von Reizen und gibt ihm dadurch Gelegenheit, auch da Ordnung zu schaffen.
Urlaub von Computer und Handy gibt unserem Gehirn zumindest ein paar Stunden pro Tag frei! Lassen wir es einfach einmal für ein paar Stunden so denken, als ob wir noch in der Steinzeit leben würden!

Willkommen Angst
Constanze Dennig
Constanze Dennig hat als Autorin stets von ihrem Fachwissen als Psychiaterin profitiert – das profunde Verständnis über die Psyche des Menschen macht die Darstellung ihrer Pro-tagonisten besonders realistisch. Für ihr neues Sachbuch hat sie als Erstleser deshalb Künstler gebeten, die für die Erschaffung oder Darstellung ihrer Figuren ebenfalls tief in deren Gefühlswelt eintauchen und die Angst oft eindrücklich künstlerisch darstellen.
Keine Geringeren als Daniel Kehlmann, Thomas Raab und Christoph Waltz – alle herausragende Meister ihres Faches – haben ihr Feedback zum Buch gegeben:
Es gibt viele Gründe, Angst zu haben, aber es gibt auch zuverlässige Techniken, um die eigene Angst zu verstehen, zu nutzen und manchmal sogar zu über-winden. Mit Angst umzugehen, das kann man lernen. Zum Beispiel in diesem profunden, klugen und kenntnisreichen Buch: Constanze Dennig ist eine Expertin, die ihr Wissen so zu vermitteln weiß, dass dieses tatsächlich zu helfen vermag. Daniel Kehlmann
Mit schnörkelloser Eleganz und entlarvender Logik schafft dieses Buch, woran Regalwände voll Ratgebern scheitern. Es will nicht trösten, als wären wir Kinder, sondern hebelt auf Augenhöhe so manchen Irrglauben aus und lässt den Feind zum Freund werden. Absolut beeindruckend. Und wegweisend. Thomas Raab
Constanze Dennig hat ein nicht nur sehr lehr-, sondern auch ausgesprochen hilfreiches Buch geschrieben. Es zeigt klar und deutlich, dass man sich vor Angst nicht zu fürchten braucht. Und vor allem, warum das so ist. Christoph Waltz