Volkskrankheit Adipositas

Ein gewichtiges Problem.

Eine Erkrankung, die weltweit jährlich 2,8 Millionen Menschenleben fordert, von der in Österreich viele Erwachsene und auch immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen sind, die schwere psychische und körperliche Langzeitfolgen mit sich bringt und dadurch acht Prozent unserer Gesundheitsausgabe verschlingt – ein neues Virus? Nein, das ist Adipositas. Eine chronische Erkrankung, welche durch ein Übermaß an Körperfett charakterisiert ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Adipositas zu einem der größten Gesundheitsprobleme unserer Zeit erklärt. Nehmen wir sie auch in unserer persönlichen medizinischen und gesundheitspolitischen Wahrnehmung als solches wahr?

Übergewichtige Menschen sehen sich oft mit verurteilenden Blicken und verletzender Kritik konfrontiert. Allzu oft sind Betroffene Vorurteilen ausgesetzt, wie etwa zu dumm, zu faul und selbst schuld an ihrer Situation zu sein. Die Hilfe aus dem persönlichen und professionellen Umfeld bleibt meist auf Ratschläge, weniger zu essen und mehr Sport zu betreiben, beschränkt. Kaum eine andere chronische Krankheit wird so häufig missverstanden und stigmatisiert wie Adipositas.

Kaum eine andere chronische Krankheit wird so häufig missverstanden und stigmatisiert wie Adipositas.

Dr. Renate Kruschitz ist Fachärztin für Innere Medizin und Wahlärztin. Weitere Informationen finden Sie unter adipolution.at und impulsinstitut.at. © Dr. Renate Kruschitz

Rund 30 Prozent weniger Zeit erhalten von Adipositas betroffene Patient:innen von Ärzt:innen. Es besteht der Hang dazu, die Probleme, von denen sie berichten, größtenteils auf die Adipositas zu reduzieren. Daraus resultiert Zurückhaltung in der klinischen Untersuchung und eine Trägheit in der Therapie. Übergewicht ist eine komplexe, multifaktorielle Erkrankung, in deren Therapie Aufmerksamkeit und Verständnis für Entstehungsmechanismen und persönliche Komponenten der Betroffenen miteinbezogen werden müssen.

Ziel der Adipositastherapie ist es nicht, so rasch und so viel wie möglich an Gewicht abzunehmen, sondern die Menschen zu unterstützen, ihr Selbstwertgefühl, ihre Lebensqualität und ihre Gesundheit zu verbessern. Eine adäquate Behandlung der Adipositas berücksichtigt die Erfahrungen der Patient:innen und geht über vereinfachte Ansätze wie „weniger essen und mehr bewegen“ weit hinaus.

Welche Therapiemöglichkeiten stehen aktuell zur Verfügung?

Lebensstilmaßnahmen

Das Um und Auf ist und bleibt die Anpassung des Lebensstils, also die Durchführung einer Ernährungs- und Bewegungstherapie mit verhaltenstherapeutischer Unterstützung. Erfolgreiches Abnehmen scheitert oft an unseren Gewohnheiten wie Bewegungsmangel und über Jahre angelerntem, gewichtsförderndem Essverhalten. Eine verhaltenstherapeutische Betreuung kann dabei unterstützen, erlernte Gewohnheiten langfristig positiv zu verändern.

Mahlzeitenersätze/Formula-Diäten

Mahlzeitenersatzprodukte in Form von Riegeln, Suppen und Shakes können helfen, die Kalorienzufuhr zu kontrollieren. Es kommt zu einer reduzierten Aufnahme von Energie, jedoch mit einer guten Relation von Fett, Eiweiß, Kohlenhydraten und zugleich ausreichenden Versorgung mit Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen. Gerade in der Anfangsphase des Abnehmens können entsprechende Produkte Unterstützung bieten und zu einem rascheren Erfolg führen.

Abnehmmedikamente

Sie können unterstützend zu Lebensstilmaß-nahmen bei entsprechenden Indikationen verordnet werden. Abnehmmedikamente wirken als Tablette oder Spritze auf biologische Prozesse, die hungrig machen und Sättigung schwächen oder die Fettaufnahme im Darm beein-flussen. Tabletten und Spritzen gegen Über-gewicht reduzieren physischen Hunger und Appetit, sichern schnelle Sättigung oder reduzieren die Kalorienaufnahme im Darm. Sie können so helfen, Gewichtsziele zu erreichen und Heißhungerattacken vorzubeugen.

Bariatrische, metabolische Chirurgie

Die bariatrische Chirurgie ist aktuell die effizienteste Therapieform. Für Menschen mit starkem Übergewicht (BMI ab 35) stehen verschiedene Varianten von operativen Eingriffen zur Verfügung. Hierbei werden über chirurgisch herbeigeführte Veränderungen am Verdauungstrakt Faktoren, die bei der täglichen Nahrungsaufnahme eine Rolle spielen, beeinflusst.

Vor allem Medikamente und chirurgische Eingriffe sind, ergänzend zu Lebensstilmaßnahmen, für die Therapie der Adipositas von großer Bedeutung. Dadurch gelingt es vielen Menschen erst, ihren Lebensstil so zu verändern, dass sie ihr Gewicht nachhaltig in den Griff bekommen.

Aktuell werden die Therapiekosten mit Ausnahme der bariatrischen/metabolischen Therapie nicht von den Sozialversicherungsträgern übernommen. Somit stellen die Therapiekosten eine beachtliche Hürde für die Therapiemöglichkeiten der Einzelnen dar.

Um der rasanten Zunahme von Adipositas mit ihren weitreichenden gesundheitlichen und auch direkten und indirekten wirtschaftlichen Auswirkungen (Gesundheitskosten, Verlust von Lebensqualität, Produktivitätsverlust durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit) durch Prävention und adäquate Therapie entgegenzuwirken, bedarf es einer Zusammenarbeit von Gesundheitsexpert:innen, gesundheitspolitschen Entscheidungsträger:innen und der Sozialversicherung.

Es ist höchste Zeit, Adipositas als eigenständige Krankheit anzuerkennen und Betroffenen eine Therapie zu ermöglichen, wie es auch bei anderen chronischen Erkrankungen der Fall ist.

Nach oben scrollen