Ein Blick in Studien der 1970er-Jahre macht deutlich, dass uns Informationen über die von Menschen gemachte Bedrohung der Lebensgrundlagen schon mehr als 50 Jahre begleiten. Spätestens seit der Veröffentlichung des ersten Berichts des Club of Rome zu den „Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 weisen immer mehr Befunde darauf hin, dass ein Weiter-wie-bisher die Menschheit an den Rand einer Katastrophe führen wird.
Die Politik hat in ihren unterschiedlichen Verfasstheiten darauf bislang bestenfalls verhalten reagiert. Mit den wenigen halbherzigen Maßnahmen ist es nicht gelungen, eine Trendwende herbeizuführen, die das herrschende Ausbeutungsparadigma der Moderne über die Natur ernsthaft infrage stellen würde. Ganz im Gegenteil, die CO2-Emissionen steigen ungebrochen weiter. Dabei sind die Anzeichen der künftigen Unbewohnbarkeit weiter Teile der Erde mittlerweile unabweisbar geworden. Der sich permanent verschärfende Widerspruch aus Wissen und Fakten bringt vor allem demokratisch legitimierte Politik unter Druck. Dazu kommen multiple Krisenerscheinungen im Rahmen globaler Konfliktverhältnisse, die mangels hinreichender politischer Effizienz bei wachsenden Teilen der Bevölkerungen eine „Politikmüdigkeit“ hervorrufen. Dies bestätigte zuletzt das „Demokratiemonitoring“ von Sora auch für Österreich. Die Zahlen lassen auf eine enorme Unzufriedenheit mit der demokratischen Problemlösungskompetenz schließen. In der Reaktion erhöht sich die Bereitschaft, sich einem starken, weil vermeintlich durchschlagskräftigeren Führer anzuvertrauen.
In der Arena der repräsentativen Demokratie treffen konfligierende Interessen aufeinander, um in geregelten Verfahren Kompromisse zu erzielen. Dabei zeigt der historische Verlauf, dass sich das demokratische System schwertut, adäquat auf neue Konfliktlinien zu reagieren. Diese brechen zuerst im außerparlamentarischen Raum auf. Das gilt für die Organisation der Arbeiterschaft in der Phase der aufkommenden Industrialisierung ebenso wie die Interessensartikulation der Frauen-, Jugend- oder Umweltbewegung in der Nachkriegszeit. Als neu auftretende Außenseiter waren ihre Vertreter:innen auf radikale Positionen verwiesen. Diese sollten ihnen sowohl öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen als auch hin-reichende Stärke für die Aushandlungsprozesse mit den als träge empfundenen politischen Institutionen. In der Regel gelang es den demokratischen Systemen in mühevollen Auseinandersetzungen, die neuen Ansprüche in die herrschenden Verfahren zu integrieren.
Als neu auftretende Außenseiter waren ihre Vertreter:innen auf radikale Positionen verwiesen.
Im Moment erleben wir vor allem eine Radikalisierung von Umweltaktivist:innen, die sich auf Verkehrsflächen kleben oder Museumsartefakte attackieren. Sie wollen damit auf die verheerenden Folgen einer viele Jahre versäumten Klimapolitik hinweisen. An diesem Unvermögen haben sich bislang auch die grünen Bewegungen vergeblich abgearbeitet. Ein Grund mehr, dass die Vertreter:innen der „letzten Generation“ das Vertrauen in die demokratische Problemlösungskompetenz verloren haben. Im Gegensatz zu den grünen „Kompromissler:innen“ in den Parlamenten, die in ihren Augen nichts weiterbringen, verstehen sie sich als außerparlamentarische Avantgarde, die es mit spektakulären Aktionen darauf abstellt, das öffentliche Bewusstsein mit unangenehmen Wahrheiten zu provozieren. Um so das demokratische System „radikal von außen“ unter Druck zu setzen. Dessen Vertreter:innen sollen so gezwungen werden, über die Interessen der Besitzstandswahrer:innen hinweg einen umfassenden Transformationsprozess einzuleiten und diesen mit wirkungsvollen Maßnahmen gegen eine Klimakatastrophe durchzusetzen. Weil eine solche verheerende Konsequenzen für alle Bürger:innen, ungeachtet ihrer sonstigen Interessen, hätte.
Der Vorteil der Aktivist:innen liegt in der zumindest symbolischen „Macht der Tat“, die sich angesichts eines Endzeitszenarios nicht mehr mit „Versuchen des Ausgleichs“ auseinandersetzen will. Schon die nächste Zukunft wird zeigen, ob sie als bloß temporär wirksame „Störenfriede“ von einer Lobby der Alternativlosigkeit des bisherigen Weges isoliert und damit politisch unwirksam gemacht werden können oder ob sie zu Vorreiter:innen einer neuen „ökologischen Klasse“ (Bruno Latour) heranwachsen, die Strategien der politischen Mitwirkung entwickeln kann.
Das Auftreten einer solchen neuen Klasse könnte die Demokratie schon bald vor eine ihrer größten Herausforderungen stellen, wenn es darum geht, die von ihr vertretenen Interessen im Sinn der Bewahrung und Verbesserung der Lebensgrundlagen für alle so in den demokratischen Prozess zu integrieren, dass trotz bestehender Interessenskonflikte zukunftstaugliche Lösungen erarbeitet werden können.
Oder daran zu scheitern. Um damit Tür und Tor für all diejenigen zu öffnen, die das Auftreten der aktuellen Widerstandsformen nicht für die Weiterentwicklung des demokratischen Systems nutzen wollen, sondern für die Durchsetzung autoritärer Herrschaftsformen. Immerhin könnten sich deren Vertreter:innen ermutigt fühlen, die kollektive Ermüdung gegenüber demokratischen Herrschaftsformen dafür zu nutzen, ihre Interessen gegenüber der Mehrheitsgesellschaft durchzusetzen. Dies wäre der Versuch, „radikal von innen“ eine „Öko-Diktatur“ zu errichten, die bereit ist, ihren einseitigen Machtansprüchen demokratische Errungenschaften zu opfern. Und damit die Krise weiter zu verschärfen, die sievorgeben zu lösen.
