Die vida hat im Herbst vorgezogene Sonderkollektivvertragsverhandlungen von den Arbeitgebern gefordert. Was war dafür ausschlaggebend?
Wir haben gesehen, dass es sich aufgrund der explodierenden Preise und der Almosenpolitik der Regierung für immer mehr Menschen nicht mehr ausgeht. Es mussten Lohnerhöhungen über der Inflation her, damit die Menschen ihre laufenden Rechnungen begleichen können und darüber hinaus die für die Wirtschaft alles entscheidende Kaufkraft erhalten bleibt.
Wie geht es heuer weiter?
Die zentrale Frage lautet mehr und mehr, wer bezahlt die Krise? Die, die sich’s leisten können, oder die, die sich nicht wehren können? Als Gewerkschaft stehen wir auf der Seite derer, die sich vermeintlich nicht wehren können. Letztendlich sind wir es, die versuchen, die arbeitenden Menschen zu organisieren, um ihre Position zu stärken. Der Verteilungskampf wird härter werden. Die hohen Energiepreise erzeugen Druck auf Unternehmensgewinne. Damit wächst auch der Druck auf die Löhne. Dazu kommt die entgegen allen Prognosen anhaltend hohe Inflation und steigenden Zinsen. Alles zusammen eine mehr als toxische Mischung.
Sie meinen, es wird häufiger zu Konflikten kommen?
Ich glaube, die politisch Verantwortlichen unter-schätzen die Dimension und die Wechsel-wirkungen der aktuellen Entwicklung. Die Regierung hat in Sachen Inflationsbekämpfung bisher vollkommen versagt. Die Preise steigen weiter, die Sparguthaben sind zunehmend auf-gebraucht und es wird für immer mehr Menschen immer knapper. Die Jahresabrechnungen der Stromanbieter werden zur Verzweiflung vielerbeitragen und schafft es die Regierung tatsächlich nicht, sich auf eine Mietpreisbremse zu verständigen ist der Ofen sowieso aus. Es ist einfach unfassbar, welche Ignoranz die Regierung um die Lebenssituation der Menschen an den Tag legt.
Ich glaube, die politisch Verantwortlichen unterschätzen die Dimension.
Wo schmerzt die Teuerung die Menschen am meisten?
Wir hören aus dem Bankensektor, dass die kleinen Sparvermögen zunehmend verbraucht und Kreditrahmen erschöpft sind. In der Folgekam es schon letztes Jahr zu ersten wirklich
schmerzhaften Einschnitten bei Dingen, über die man früher vielleicht nicht täglich nachdenken musste. Etwa, was mache ich mit meinem laufenden Kredit? Kann ich mir irgendwie ohne Auto oder Zweitauto Mobilität organisieren? Welche Freizeitaktivitäten schränke ich ein? Muss ich in meiner Wohnung frieren?
Macht sich ein „Ohnmachtsgefühl“ in der Bevölkerung breit?
Für diese Einschnitte machen die Menschen zu Recht die Politik verantwortlich. Der Großteil der Bevölkerung hat erkannt, dass diese Regierung nicht imstande ist, nachhaltig etwas gegen die steigenden Preise zu tun. Während Krisen-gewinner Milliarden scheffeln, werden arbeitende Menschen mit verpuffenden Einmalzahlungen, Gutscheinen und Bonuszahlungen abgespeist.
In der Sozialwirtschaft konnte die Gewerkschaft vida acht bis über elf Prozent Lohnerhöhung erreichen.

Für die Gewerkschaft waren die Lohnverhandlungen heuer besonders herausfordernd?
Als vida organisieren wir auch einen erheblichen Teil des sogenannten Niedriglohnsektors. Da bewegen wir uns aufgrund der hohen Inflation in den Verhandlungen im Spannungsbogen zwischen Existenzsicherung und einem fairen Anteil für jene, die in den vergangenen Monaten das Land am Laufen gehalten haben.
Wie haben Sie den Bogen also gespannt?
In den Branchen, in denen wir vor der Jahres-wende die Lohnverhandlungen abschließen konnten, wie etwa Reinigung, Bewachung, Luftfahrt, Eisenbahn, Ordensspitäler, Friseur:innen und in der Sozialwirtschaft, haben wir Abschlüsse in einer durchschnittlichen Bandbreite von acht bis hin zu über elf Prozent erreicht. Bei niedrigen Einkommen waren das zum Teil knapp über 17 Prozent – und somit deutlich über der durchschnittlichen Inflation. Das heißt, neben der Abgeltung der Inflation konnten wir für die Beschäftigten auch einen Anteil am Produktivitätszuwachs herausholen. In einzelnen Branchen konnten wir zusätzlich auch einen Teuerungsbonus erreichen und letztendlich sind wir auch dem Ziel von 2.000 Euro Bruttomindestlohn in den meisten Bereichen einen deutlichen Schritt nähergekommen.
Eine Lohnerhöhung in Form eines monatlichen Fixbetrages stärkt niedrigere und mittlere Einkommen.
Sind Sie mit den Ergebnissen der Lohnrunden zufrieden?
Zufrieden sind wir nie. Wir haben uns als Ziel gesteckt, dass es heuer auch gerade wegen der hohen Teuerung nachhaltige Reallohnerhöhungen geben muss, die insbesondere die niedrigeren und mittleren Einkommen stärken – schließlich trifft die Rekordinflation diese Gruppen am härtesten. Klar war auch, dass wir uns nicht mit nicht nachhaltigen und im nächsten Jahr bereits wieder ver-pufften Einmalzahlungen zufriedengeben werden. Diese Ziele haben wir weitestgehend erreicht. Aber klar ist auch – die besten Ergebnisse erreichen wir in den Bereichen, in denen sich eine höhere Zahl an Menschen in der Gewerkschaft organisieren. Je mehr Mitglieder, desto stärker die Verhandlungsmacht.
Was hatte es mit der Forderung nach einem Fixbetrag auf sich?
In Branchen wie Eisenbahn oder Ordensspitäler haben wir von Anfang an anstatt einer prozentuellen Anpassung monatliche Fixbeträge für alle Beschäftigten gefordert. Warum haben wir das gemacht? Weil ein monatlicher Fixbetrag bekanntlich niedrigere und mittlere Einkommen stärker erhöht, während ein fixer Prozentsatz in absoluten Eurobeträgen vor allem hohe Einkommen stärkt. Um das zu erreichen, mussten wir in mehreren Branchen Warnstreiks organisieren. Unterm Strich haben wir im Interesse unserer Mitglieder bisher durchwegs erfolgreich verhandelt. Aber bekanntermaßen ist nach den Lohnverhandlungen ja schon wieder vor den Lohnverhandlungen!